. Ungeachtet aller Preisschwankungen im Großhandel hält Mülheims Medl die Gaspreise seit Oktober 2010 stabil. Das stößt auf deutliche Kritik.
- Leser Hartwig Pietsch aus Dümpten fragt, warum die Medl die gesunkenen Gas-Importpreise nicht an Kunden weitergibt
- Die Medl begründet dies mit ihrer „Portfolio-Beschaffung“: Man kaufe das Gas immer im langen Vorlauf ein
- Experten aus der Energiebranche kritisieren das: Die Medl hätte längst Luft haben müssen für eine Preissenkung
Hartwig Pietsch aus Dümpten fragt: Warum hat die Medl eigentlich nicht ihre Gaspreise gesenkt, obwohl die Importpreise für Gas doch so kräftig gesunken sind?
Lange Zeit hat die Medl als örtlicher Gas-Grundversorger sich gar in öffentlichen Verlautbarungen damit gebrüstet, seine Preise stabil zu halten. Länger als sechs Jahre, seit Oktober 2010, ist der Gaspreis der Medl auf konstantem Niveau. Zuletzt aber vermied es der örtliche Versorger doch, seine Preisstabilität im eigenen Marketing vornan zu stellen. Aus gutem Grund, wie Experten sagen.
Für einen von der Verbraucherzentrale betrachteten Musterhaushalt einer Kleinfamilie mit einem Verbrauch von 20 000 Kilowattstunden (kWh) pro Jahr empfiehlt die Medl ihren Kunden den Tarif „Behaglich warm“ mit einem Preis von 5,72 Cent/kWh und einem von der jeweils installierten Nennwärmeleistung abhängigen Grundpreis. Je nach Anlagenleistung fallen für die Mülheimer Musterfamilie im Jahr Kosten in Höhe von 1331,28 Euro an.
Bei einem nach Kriterien der Stiftung Warentest angestellten Preisvergleich im Internetportal Verivox.de zeigten sich am Donnerstag deutlich preisgünstigere Angebote. Bis zu 400 Euro ließen sich für die Musterfamilie einsparen bei einem Wechsel von besagtem Medl-Tarif hin zu einem alternativen Angebot.
Der Verivox-Verbraucherpreisindex für den benannten Musterhaushalt zeigt auf, dass deutschlandweit der durchschnittliche Kilowattstunden-Preis (inklusive umgerechneten Grundpreisen) seit 2013 sinkt. Im Jahr 2016 lag er bei 6,09 Cent/kWh, der Medl-Tarif „Behaglich warm“ verharrt seit Oktober 2010 jedoch bei 6,66 Cent. Damit lag die Medl nur in den Jahren 2013 und 2014 unter dem Schnitt, als die unternehmenseigene Philosophie der Preisstabilität den örtlichen Versorger auch bei den Preisvergleichen nach vorne gespült hat.
Medl: Wir wollen eine kontinuierliche Preisentwicklung
Nun aber konfrontieren Verbraucher wie der Dümptener Hartwig Pietsch die Medl mit der unangenehmen Frage, warum sie die kräftig gesunkenen Beschaffungspreise nicht an ihre Kunden weitergegeben hat.
Medl-Geschäftsführer Dr. Hendrik Dönnebrink erklärt dies mit einer auf Langfristigkeit zielenden Beschaffungsstrategie des Hauses. Die Medl als örtliche Versorgerin von rund 20 000 Haushalten könne nicht wie Wettbewerber mal eben mit 50 Millionen günstig beschafften Kilowattstunden einen neuen Supertarif schaffen und dann, wenn das Mengenvolumen aufgebraucht sei, den Preishammer rausholen.
„Wir wollen eine kontinuierliche Preisentwicklung“, beschreibt Dönnebrink, dass die Medl ihr heute durch die Leitungen strömendes Gas bereits vor ein, zwei oder gar drei Jahren gekauft habe. „Wir kaufen unser Gas immer in Quartalsscheiben“, sagt der Medl-Chef – und stellt auf Nachfrage in Aussicht, dass sich die seit 2014 im Sinkflug befindlichen Einkaufspreise für die Medl-Kunden deshalb zeitversetzt und wohl in der kommenden Heizperiode „deutlich bemerkbar“ machen würden.
Diese Argumentation der renditestarken Medl lässt Steffen Bukold vom Hamburger Beratungsbüro „Energy Comment“ allerdings nicht gelten. „Das ist eine Standardbegründung, die Jahr für Jahr fadenscheiniger wird“, sagt er. Die Beschaffungspreise hätten schließlich schon 2014 angefangen in den Keller zu rutschen, da habe der gesunkene Preis die Verbraucher längst erreichen können. „Ziemlich selten“ in der Branche sei auch, wie von der Medl behauptet, die komplette Einkaufsmenge und die Preise über drei Jahre abzusichern – auch wenn Steffen Bukold bei Stadtwerken im Vergleich zu anderen am Markt operierenden Unternehmen durchaus die Notwendigkeit zur Mengenabsicherung sieht.
Studie: Niedriger Gaspreis kommt kaum bei Verbrauchern an
Bukold hat mit seinem Beratungsbüro im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion zuletzt eine dritte Studie zu der Frage veröffentlicht, ob die deutschen Verbraucher von den sinkenden Gas-Importpreisen profitieren. Im Ergebnis steht ein klares Nein. Die Gasanbieter haben laut Studie die kräftig gesunkenen Großhandelspreise nur zu einem kleinen Teil weitergegeben. Im Zeitraum von 2014 bis 2016 hätten die Versorger 1,7 Milliarden Euro, die sie bei der Beschaffung gespart hätten, einbehalten, anstatt sie für Preissenkungen zu nutzen.
Zur mehr als sechs Jahre währenden Preisstabilität beim Medl-Gas sagt Bukold: „Mit jeder Tarifänderung macht man Verbraucher mobil. Dann fangen die Kunden an, sich zu informieren und Preise zu vergleichen.“ Platzhirsche in der Versorgung wie die Medl hielten offenbar ihre Preise stabil, „um die Kunden nicht aufzuschrecken“. Dabei sei der Anbieterwechsel durch die Vergleichsportale im Internet sehr einfach.
Zum Preisvergleich rät auch Christina Wallraf, bei der Verbraucherzentrale NRW Referentin für den Energiemarkt. „Spätestens im vergangenen Jahr wäre es für die Medl angesagt gewesen, die gesunkenen Preise weiterzugeben“, sagt sie mit Verweis darauf, dass sich die Einkaufpreise für Gas von Anfang 2014 bis Ende 2016 fast halbiert hätten. „Jeder Grundversorger, der ordentlich einkauft, müsste die Preissenkung an die Kunden weitergeben können.“
Laut Verbraucherportal Check24.de haben seit Anfang Januar 274 deutsche Grundversorger ihre Gaspreise um durchschnittlich 6,3 Prozent gesenkt beziehungsweise Senkungen bis zum 1. April angekündigt. Die Medl ist nicht darunter.
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