Mülheim. . Boris Nikitin zeigt eine moderne „Hamlet“-Produktion im Ringlokschuppen.Performer Julian Meding wird von Barock-Ensemble begleitet.
Den Shakespeare-Klassiker „Hamlet“ um die Tragödie im Dänischen Königreich, um Macht und Ohnmacht, Schein und Sein hat sich der Theaterregisseur Boris Nikitin vorgenommen. Mit dem Performer und Musiker Julian Meding entwickelte er einen Abend auf der Folie von Shakespeares Geschichte, der Fragen aufwirft nach Identität, Individualität, Wahn und Wirklichkeit. Meding spielt einen zeitgenössischen Hamlet, unterstützt von einem barocken Streichquartett.
Kriege, Terror, Anschläge und Angst: Die Welt gerät gefühlt aus den Fugen. Wie weit geht das Stück auf die aktuelle Situation ein?
Meding: Die Ecke, über die wir das angehen, ist die Frage nach Realität und Wahrnehmung. Vielleicht wäre es besser gewesen, den Leuten zuzuhören, die schon vor Jahren davor gewarnt haben.
Nikitin: Ja, den Leuten, die die Realität kritisch betrachtet haben.
Ringlokschuppen an Koproduktion beteiligt
Zu sehen ist „Hamlet“ heute und am morgigen Samstag, jeweils 20 Uhr, im Ringlokschuppen. Einführung, 19.30 Uhr, und Publikumsgespräch danach.
In Koproduktion mit Kaserne Basel, Gessnerallee, Théatre Vidy, Ringlokschuppen. Mit Unterstützung von La Villette Paris, Münchner Kammerspiele, HAU Hebbel am Ufer, Südpol Luzern.
In Hamlet geht es nicht zuletzt um Macht. In Europa ist ein Rechtsruck spürbar. Und in Amerika lässt der neue Präsident Trump tüchtig die Muskeln spielen.
Meding: Ein Erklärungsmuster, dass so etwas wie Trump möglich ist, liegt auch darin, dass die Arbeiterklasse keine Repräsentanten mehr hat.
Nikitin: Das Stück wirft die Frage auf, wie man selbst als handelnde Person wirksam sein kann. Es zieht sich als starkes Fragezeichen durch alle politischen Parteien. Es ist auch ein Thema von Hamlet: Soll man sich einbringen und gegen bestehende Strukturen aufbegehren? Das Stück handelt auch von der Suche nach Ermächtigung. Es ist Julian, der sich vor dem Publikum allein ausstellt, um die Geschichte von Hamlet sichtbar zu machen im Konflikt mit der Ohnmacht und der Frage: Sein oder nicht Sein.
Politische Wahlen sind ein Mittel der Demokratie. Immer weniger Menschen, besonders junge Leute, nutzen die Chance der Mitbestimmung.
Nikitin: Vielleicht sehen junge Leute in der Wahl nicht das geeignete Instrument, das ihren Alltag verändern würde. Und wenn man in den letzten 20 Jahren Sozialdemokraten gewählt hat, ist dabei eine eher neoliberale Agenda herausgekommen. Was ist denn mit den Arbeiterrechten?
Was kann Theater bewirken?
Meding: Bei den Diskussionen mit dem Publikum kommt immer wieder die Frage auf, was wir als Person tun können. Wie schaffen wir es, im Kollektiv zu handeln? Hamlet bietet da viel Kommunikation an. Die Figur sagt: Ich will Räume finden, mit anderen, mit denen ich mich zusammentun kann.
Ist der Abend am Original-Text von Shakespeare entstanden?
Nikitin: Wir haben eine neuen Text zusammen entwickelt, angelehnt an Hamlet, der nie ganz Shakespeare ist und an die Performerfigur angebunden ist. Es ist eine Überblendung von Figuren. Ein zentrales Thema dabei: Spielt die Figur uns etwas vor oder ist sie wirklich verrückt geworden oder ist es eine wahre Geschichte?
Das neue Stück ist quasi eine europäische Koproduktion. Vorstellungen gab es bereits in Basel, Frankfurt, Paris und Athen. Wie waren die Aufführungen dort?
Nikitin: Das Publikum ist sehr durchmischt. Natürlich sind es immer Leute, die sich für zeitgenössisches Theater interessieren. In Athen beispielsweise hatten wir ein sehr politisches Publikum. Eine ältere Dame hat uns angesprochen, die den Abend berührend fand.