MÜLHEIM. Für Elisabeth Breßlein hat das Buch von 1946 einen hohen Erinnerungswert. Hohe Erträge kann sie damit allerdings heutzutage nicht mehr erzielen.
„Bitte sorgfältig aufbewahren!“ steht im Inneren des dicken roten Einbands. Dessen Rückseite ziert das ehemalige Sparkassengebäude am heutigen Synagogenplatz. Doch wie so oft kommt es ja auf die inneren Werte an – erst recht wohl bei einem Sparbuch aus dem Jahr 1946, das die Mülheimerin Elisabeth Breßlein in ihrem Sekretär streng nach Vorschrift aufbewahrte.
Zumindest würde so mancher nun den Bleistift spitzen angesichts der Zinserwartungen von mehr als 70 Jahren zu heute fast luxuriös erscheinenden zweieinhalb Prozent. Die Seniorin jedoch winkt lächelnd ab: Gerade einmal fünf Reichsmark befinden sich seit Oktober 1947 auf der hohen Kante, ursprünglich waren es einmal 300: „Der Staat hat damals eine Entschädigung für unseren gefallenen Bruder gezahlt. Die wurde unter den verbliebenen Geschwistern aufgeteilt. Unser Vater hat gebaut und das Geld wohl in ein Häuschen am Oemberg investiert“, meint „Else“ Breßlein sich zu erinnern. Lang ist’s ja her.
Keine hohen Erträge
Also wie gewonnen so zerronnen? Eigentlich nicht. Denn hohe Erträge hätte es heute für das einst angelegte Sparbuch wohl nicht gegeben. Wagt man das Gedankenspiel, so kommen bei 5 Reichsmark für 2,5 Prozent nach gut 70 Jahren gerade einmal etwas mehr als 28 heraus - Reichsmark wohlgemerkt. „Von den Zinsen sind in der Regel aber noch Kapitalertragssteuer, Solibeitrag und eventuell Kirchensteuer abzuziehen“, sagt Jennifer Rousseau, Pressesprecherin der Mülheimer Stadtsparkasse.
Bei diesen Erwartungen ist es vielleicht nicht einmal schlimm, dass der eigentliche Haken an der Sache ein anderer ist, wie Rousseau erläutert: Die fleißige Sparerin hätte das signalrote Büchlein zur ersten Währungsreform im Juni 1948 rechtzeitig zum Umtragen in die Sparkasse bringen müssen. Dann wären aus Reichsmark eben D-Mark geworden – wenn auch nicht eins zu eins. Denn gerade die Guthaben von Sparbüchern sind damals im Zuge der Reform zu Lasten der Kleinsparer wohl im Verhältnis 10 zu 1 stark abgewertet worden. „Seit dem 30. Juni 1976 sind zudem per Gesetz alle Ansprüche auf Umwandlung erloschen“, ergänzt die Pressesprecherin.
Sparbuch hat persönlichen Wert
Buch für die Jubiläumsausstellung
Den ideellen Wert des Sparbüchleins weiß aber die Stadtsparkasse zu schätzen:
„Wir feiern im kommenden Jahr 175 Jahre Stadtsparkasse Mülheim und wollen das mit einer Ausstellung begleiten“, sagt Pressesprecherin Jennifer Rousseau. Das rote Buch könnte die Historie gut ergänzen. „Wir würden uns freuen, wenn Frau Breßlein es uns zur Verfügung stellen könnte.“
Und natürlich gilt ähnliches für die spätere Wandlung von D-Mark in Euro. Wer daher heute das Sparbuch seiner Urgroßeltern unerwartet im klassischen Dachboden-Versteck findet, hat wohl keinen Rechtsanspruch auf den gebunkerten Betrag. „Nicht tragisch“, meint Elisabeth Breßlein, denn für sie hat das rote Büchlein mit dem historischen Sparkassengebäude am Synagogenplatz ohnehin nur einen Erinnerungswert. „Wir haben damals mit vier Geschwistern und den Eltern am Oemberg gelebt“, erzählt sie. Später zog die gelernte Kinderpflegerin mit ihrem Mann, der in der Druckerei der Mülheimer Zeitung arbeitete, nach Bayern. „In Mülheim gab es damals kaum Wohnungen, und die Druckerei machte zu.“ Auf Umwegen kamen beide vor fünf Jahren aber zurück an die Ruhr und fühlen sich hier wohl: „Dann waren wir wieder wirklich zu Hause.“