Mülheim. . Selbeck soll nicht mehr wachsen. Dieses Ziel verfolgt die Regionalplanung beim RVR. Mülheims Baudezernat protestiert.
- Der Regionalverband Ruhr hat einen Vorentwurf für einen neuen Regionalplan vorgelegt
- Mülheims Stadtplanung hat 18 Punkte ausgemacht, mit denen sie nicht zufrieden ist
- Mülheim will in der Zukunft weiter auf eine nachhaltige Siedlungsentwicklung setzen
Wird der neue Regionalplan, der unter Federführung des Regionalverbands Ruhr (RVR) zurzeit entworfen wird, Mülheims südlichen Stadtteil Selbeck für einen Zeitraum von 15 Jahren jeglicher Entwicklungsperspektive berauben? Ein erster Vorentwurf jedenfalls sieht vor, Selbeck nicht mehr als Siedlungsgebiet mit Neubau-Potenzialen auszuweisen. Das städtische Planungsdezernat will das so nicht hinnehmen.
Der Vorentwurf zum Regionalplan, der seit Sommer in der Abstimmung mit den Städten des Ruhrgebietes ist, weist Selbeck als Freiraum aus, so wie es für Siedlungsbereiche mit weniger als 2000 Einwohnern vorgesehen ist. „Dann wäre Selbeck auf seine Eigendynamik eingedampft“, beklagt Mülheims Planungsamtsleiter Jürgen Liebich, dass eine Weiterentwicklung eingeschränkt wäre. Dabei, sagt er mit Blick auf potenzielle Bauflächen (Rumbaum-Gelände, am Tennisplatz, im Hinterland der Total-Tankstelle) habe Selbeck durchaus Entwicklungsflächen, „um locker auf über 2000 Einwohner zu kommen“.
Vermeulen: Selbeck ist ein bedeutender Vorort
Dezernent Peter Vermeulen hat schon im September in einem Abstimmungsgespräch mit dem RVR die abweichende Haltung zur Regionalplanung deutlich gemacht. „Für mich“, sagt er, „ist Selbeck ein bedeutender Vorort von Mülheim, weil sich insbesondere auch hier die Wohnungsbauinteressen von Menschen abzeichnen, die in Düsseldorf arbeiten, weil wir ein intaktes Dorf mit intakter Dorfgemeinschaft haben.“
Vermeulen stört sich an der räumlichen Abgrenzung der RVR-Planer für Selbeck. Er will das Fliednerdorf nicht weiter als „Sondergebiet“, sondern als Teil des Siedlungsgebietes anerkannt sehen. Es sei zu prüfen, ob das Land zwischen Fliedner-Dorf und Siedlungsgrenze „Am Timpen“ perspektivisch nicht Wohnbauland werden könne. So könne es geschafft werden, das Fliedner-Dorf noch näher an Selbeck heranzurücken. Das sei zeitgemäß, „weil heute integrierte Wohnlagen für Menschen mit Behinderung gewünscht und gesucht werden“.
Entwicklung in Selbeck wäre gehemmt
Eine Reaktion des RVR in Form eines überarbeiteten Entwurfs steht laut Vermeulen noch aus. Für Selbeck steht möglicherweise viel auf dem Spiel. Als zur Stagnation verdammter Ort dürfte es schwer werden, die heute noch vorhandene Infrastruktur mit Grundschulstandort, Kitas und anderem zu halten. „Wir könnten keinen Bebauungsplan mehr auflegen“, macht Stadtplaner Felix Blasch klar. Auch die Entwicklung der örtliche Gewerbestruktur sei gehemmt, sollte Selbeck im Regionalplan tatsächlich – wie übrigens Mintard, Raadt und Menden auch – als Freiraum festgelegt werden.
Laut Liebich sind noch „einige Fehlerquellen“ in der Regionalplanung trockenzulegen. Ob der RVR mitspielt, wird sich zeigen.
RVR spart Entwicklung am Flughafen aus
Die aktuelle Regionalplanung für die Metropole Ruhr ist ausgelegt für einen Zeithorizont bis zum Jahr 2034. Zum Vorentwurf des Regionalverbands Ruhr hat die Stadt Mülheim reichlich Änderungswünsche angemeldet.
Dümpten
1 Der Sportplatz im Hinterland der Magdalenenstraße ist im Vorentwurf des Regionalplans als Freiraum dargestellt, die Stadt will ihn als allgemeinen Siedlungsbereich eingestuft sehen, obwohl laut Planungsamtsleiter Jürgen Liebich „keine konkreten Pläne“ bestehen, den Sportplatz zugunsten einer Wohnbebauung oder Gewerbeansiedlung aufzugeben. Es gehe lediglich um die Sicherung einer „langfristigen Option“.
2 Mit der gleichen Argumentation tritt die Stadt für Entwurfsänderungen im Bereich rund um den Sportplatz am Wenderfeld ein. Zumindest teilweise solle dieses Areal als allgemeine Siedlungsfläche markiert werden. Auch hier gelte es eine Option für eine mögliche Wohnbebauung offenzuhalten, so Liebich. „Weil wir den enormen Bedarf sonst nicht abdecken können.“ Der RVR habe schließlich allein für die Ausweisung neuer Wohnbaugebiete einen Handlungsbedarf in einem Volumen von 63,3 Hektar in Mülheim ausgemacht.
3 Die RVR-Planer haben das gewerblich genutzte Gebiet Heifeskamp/Mannesmannallee als allgemeines Wohn- und Gewerbegebiet deklariert. Die Stadt will klären, ob eine Ausweisung als Sondergebiet „Einzelhandel“ sinnvoll ist.
4 Den Bereich zwischen Oberheid-, Mühlen- und Aktienstraße sowie der A 40 sieht der RVR bislang als Freiraum. Die Stadt will, dass langfristig auf dem Areal von Tennishalle und Flüchtlingsunterkünften auch eine Wohnbebauung oder Gewerbenutzung möglich wäre – unter Beibehaltung der Grünverbindung entlang der Autobahn, die ja noch attraktiver gestaltet werden soll. Da das Gebiet bebaut sei, so die Stadt, sei es ohnehin unwahrscheinlich, dass vor Ort ein Grünzug dargestellt werden könne.
Styrum
5 Das Güterbahn-Areal von Salzgitter-Mannesmann entlang der Albertstraße soll nach Willen der Stadtplaner nicht weiter als Verkehrsinfrastrukturfläche ausgewiesen sein, sondern als allgemeiner Siedlungsbereich. „Sollte Mannesmann die Flächen irgendwann mal nicht mehr komplett benötigen“, so Liebich, „wäre dort eine Entwicklung von Gewerbe möglich.“
6 Der Ausweich-Parkplatz für das Ruhrstadion an der Friesenstraße ist im Vorentwurf eine Freifläche. Die Stadt will einen allgemeinen Siedlungsbereich ausgewiesen sehen. Ein Immissionsstreifen für den sechsspurigen Ausbau der A 40 wäre aber freizuhalten.
7 Trotz vorhandener Bebauung an der Moritzstraße (zwischen Wasserwerk und Schloß Styrum) weist der Vorentwurf hier einen Freiraum aus. Die Stadt will einen allgemeinen Siedlungsbereich.
Rhein-Ruhr-Zentrum
8 Das Rhein-Ruhr-Zentrum ist wiederum als allgemeiner Siedlungsbereich festgelegt. Es wird eine sachgemäße Festlegung als Sondergebiet Einzelhandel angestrebt.
Heimaterde
9 Gar nicht einverstanden ist Mülheims Planungsdezernat damit, dass der RVR einen 20 Hektar großen Bereich südlich der Velauer Straße als Wohnbauland ausweisen will. Unter anderem wegen der hohen Bedeutung für das Stadtklima will die Stadt das Fulerumer Feld weiterhin als Fläche für Landwirtschaft, mit der Überlagerung des Regionalen Grünzugs, und als Bereich zum Schutz der Landschaft und Erholung dargestellt sehen. „Ernsthaft würde kein Bauleitplaner an das Fulerumer Feld drangehen“, so Liebich.
Holthausen/Menden
10 Die Fläche der ehemaligen Stadtgärtnerei an der Zeppelinstraße ist im Regionalplan-Vorentwurf als Freiraum dargestellt. Die Stadtverwaltung will hier aber eine bauliche Nachnutzung möglich gemacht sehen.
11 Den Bereich Mendener/Untere Saarlandstraße sieht der RVR als Freiraum. Aus Sicht der Mülheimer Stadtplaner ist der bebaute Bereich mit angrenzenden Siedlungsbereichen gleichzusetzen.
Raadt
12 Langfristige Bedarfe für Wohn- und Gewerbeflächen will die Stadt in großem Stil auf dem Flughafen-Areal decken. Der RVR hat bislang aber nicht einmal das kleine Raadt mit seinen rund 1500 Einwohnern als Siedlungsbereich mit Entwicklungsmöglichkeiten anerkannt. Sowohl die Flughafen-Siedlung als auch die ausgemachte Gewerbepotenzialfläche an der Brunshoffstraße sind zunächst als Freiraum festgelegt. Schon jetzt aber will die Stadt dargestellt sehen, was nach dem Flughafen-Aus möglich sein soll. Eine Ausweisung als allgemeiner Siedlungsbereich ist angestrebt, auch wenn mit der Stadt Essen noch abzusprechen sein wird, welche Flächen konkret für Wohnen, Gewerbe und Freiraum genutzt werden sollen.
Speldorf
13 Das alte Wissoll-Areal wird im Regionalen Flächennutzungsplan noch als Gewerbe- und Industriefläche ausgewiesen. Eine Industrienutzung ist dort aber wegen der Wohnbebauung ringsum ohnehin nicht möglich. So ist die Stadt ganz beim RVR, hier einen allgemeinen Siedlungsbereich zu schaffen, der eine Entwicklung etwa für hochschulnahes Gewerbe, einen Technologiepark oder ähnliches ermöglicht.
Broich/Saarn
14 Der Regionalplan-Vorentwurf sieht im Bereich Mintarder Straße (Aldi-Dienstleistungszentrum) eine Abstufung von einem Gewerbe- und Industriebereich zum allgemeinen Siedlungsbereich für Wohnen und wohnverträgliches Gewerbe vor. Im Zusammenhang mit der geplanten Bebauung des Lindgens-Geländes und der tatsächlichen gewerblichen Nutzung entlang der Düsseldorfer Straße und des Kassenbergs will die Stadt, die die Ansiedlung von Einzelhandel dort in der Vergangenheit nicht rechtzeitig verhindert hatte, diesen Bereich ausgedehnt sehen.
15 Der angrenzende Bereich des Steinbruchs Rauen wird im Regionalplan-Vorentwurf in Teilen als Frei-, Wohnbau-, Gewerbe- oder gar noch Industriefläche gesehen. Die Stadt will, die Pläne für eine Wohnbebauung sind seit Jahren bekannt, das gesamte Areal rund um die Holzstraße als allgemeinen Siedlungsbereich ausgewiesen sehen. Den bestehenden Schutzgebieten soll dabei Rechnung getragen werden.
16 Im Gegensatz zum RVR will die Stadt im Gewerbegebiet an der Xantener Straße weiter eine Industrienutzung möglich halten.
Saarn
17 Während der RVR den Bereich Voßbeckstraße / Buteweg als Freiraum sieht, wollen Mülheims Stadtplaner dort zumindest den nördlichen Teil für eine mögliche Wohnbebauung freihalten.
Stadt will „nicht in den Außenbereich galoppieren“
In einer Modellrechnung kommt der Regionalverband Ruhr auf eine Fläche von gut 196 Hektar, die in Mülheim bis zum Jahr 2034 für Wohnen und Gewerbe auszuweisen ist, um den Bedarf zu decken. Einen höheren Bedarf hätten die Regionalplaner im Ruhrgebiet nur in der Nachbarstadt Essen ausgemacht, sagt Planungsamtsleiter Jürgen Liebich, der nach eigener Aussage „Schnappatmung bekommen“ hat, als er den Vorentwurf des RVR zur Regionalplanung erstmals studiert hat.
Liebich macht im Einklang mit Planungsdezernent Peter Vermeulen deutlich, dass Mülheim auch künftig gut daran tue, mit einer Wohnbebauung „nicht in den Außenbereich zu galoppieren“, wie es etwa Bochum massiv mache. Bedarfe seien zuvorderst durch eine Entwicklung innerhalb bestehender Siedlungsbereiche zu decken. Es gelte, Ressourcen zu schonen und Freiräume zu sichern. „Wir wollen nur minimal Siedlungsbereiche nachzeichnen.“
Den Großteil, nämlich fast die Hälfte des vom RVR ausgemachten, künftigen Flächenbedarfes für Wohnen und Gewerbe,wollen Mülheims Stadtplaner am Flughafen abbilden. Dort sollen 94,8 Hektar Land zur Verfügung stehen, wenn der Flugbetrieb eingestellt ist. Der Flughafen sei ja nun schon teilweise versiegelt, wehrt Liebich von vornherein mögliche Kritiker ab, die auch bei der Entwicklung am Flughafen ihren ökologischen Zeigefinger heben.
Liebich und Vermeulen machen klar, dass der RVR mit seinen Zahlen zum Flächenbedarf „sehr dynamisch“ unterwegs sei, das Land habe da gegenläufige Vorgaben zur nachhaltigen Siedlungsentwicklung gemacht. Daran wolle sich die Stadt Mülheim auch weiterhin orientieren.
Vermeulen hatte unlängst gar ausgeschlossen, aus Eigenantrieb eine Wohnbauentwicklung am Schlippenweg in Holthausen zu forcieren. Er sehe in der Stadt durchaus Möglichkeiten, Wohnbauflächen ohne den vorhersehbaren Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen hier und ökologischen Interessen dort zu schaffen, nämlich unter anderem auch dort, wo schon Baurecht bestehe. „Wir sind in den vergangenen Jahren gut mit der Entscheidung gefahren, konsensual zu planen.“