Mülheim. . Supermarktsparte ist jetzt verkauft, der Traditionsname an den Läden verschwindet. Familiengenerationen machten aus der Rösterei Handelskonzern.

Als Wilhelm Schmitz mit seiner Frau Luise Scholl 1867 eine Handels- und Kolonialwarenfirma gründet, fallen die Aktivitäten in der Ruhrstadt auf fruchtbaren Boden. Mülheim gilt bereits als bekannter Handels- und Kohleumschlagplatz.

Das Ehepaar Schmitz-Scholl legt damit vor 150 Jahren den Grundstein für ein weltweit aktives Handelsunternehmen. Aber ausgerechnet im Jubiläumsjahr steht die Unternehmensgruppe unter keinem guten Stern. Erst vor Weihnachten hat sie sich von rund 450 Supermarktfilialen wegen Millionenverlusten getrennt. Kaiser’s-Tengelmann verlässt das Land und die öffentliche Wahrnehmung. Der Name Tengelmann bleibt nur dem Handelsregister erhalten. Rund 15 .000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behalten ihre Jobs für weitere fünf Jahre. An welchem Ort sie demnächst arbeiten, lassen die neuen Eigentümer Edeka und Rewe bisher völlig offen.

In Holthausen befindet sich die kleinste Tengelmann-Filiale Mülheims.
In Holthausen befindet sich die kleinste Tengelmann-Filiale Mülheims. © Oliver Müller

Ob in der Tengelmann-Zentrale an der Wissollstraße (beides längst Mülheimer Traditionsnamen) komplett die Lichter ausgehen, soll sich in den kommenden Monaten entscheiden. Zu sehen ist im Garten des Firmenblocks nach wie vor das in den Rasen kunstvoll gemähte „T“. Auf dem Klimamarkt – einem bundesweit beachteten Vorzeigeobjekt des Umweltschutzes – leuchtet es in Grün. Aber in vielen anderen Kaiser’s und Tengelmann-Filialen hat die zwei Jahre dauernde Übernahmen-Rangelei sichtbare Spuren hinterlassen. In eine Modernisierung hat die Tengelmanngruppe dort nicht mehr investiert.

Schmitz und Lindgens gründen Kolonialwarengeschäft

Genau umgekehrt läuft das vor mehr als 150 Jahren. Was die Firmen-Chronik dezent weglässt: Bereits 1856 gründet Wilhelm Schmitz mit Ludwig Lindgens ein Kolonialwarengeschäft. Sie lassen Ruhrschiffe heimische Kohle in holländische Häfen bringen und auf der Rücktour mit Kaffee und ausgefallenen Waren beladen in Mülheim anlegen. Als Lindgens elf Jahre später aus diesem Geschäft aussteigt und sich der Lederverarbeitung widmet, führen ab 1. Januar 1867 die Eheleute Schmitz-Scholl das Unternehmen auf eigene Rechnung weiter.

1882 veredelt Schmitz in der eigenen Rösterei an der Ruhrstraße die Bohnen selbst, bevor er sie verkauft: „Warenimport und Verarbeitung gehören in eine Hand“, lautet sein Ziel. Der Schmitz-Schollsche Kaffee kommt bei den Kunden bestens an. Viele Unternehmen haben in der aufstrebenden Stadt ihren Sitz. Viele Arbeiter und Angestellte verdienen gutes Geld, können sich die Produkte leisten. Die Rösterei verarbeitet 1885 bereits mehr als 1000 Pfund pro Tag. Zwei Jahre später wird der Betrieb an den Stadtrand verlagert. Mehrere Ruhrhochwasser beschleunigen den Umzug, weil sie teilweise die Lagerbestände vernichten.

Neuer Name für das Filialnetz

In dieser Zeit startet auch Josef Kaiser in Viersen mit diesem Geschäftsmodell. Er importiert und röstet Bohnen, verkauft sie in eigenen Kaffeeläden. Die Wege beider Familien sollen sich 90 Jahre später geschäftlich vereinen.

Als Wilhelm Schmitz 1887 stirbt, übernehmen seine Söhne Karl und Wilhelm jun. die Firma und etablieren „Plantagenkaffee“ und „Storch-Kaffee“. Weil die Auslieferung mit Fuhrwerken teuer ist und „mangelnde Sorgfalt bei der Warenpflege in den Geschäften zu Vertrauensverlusten und Absatzeinbußen“ führen, gründen die Brüder kurz entschlossen unter einem neuen Namen ein zweites Vertriebs- und Filialnetz.

Sie benennen es nach ihrem Prokuristen Emil Tengelmann. Am 16. Juni 1893 erfolgt die Eintragung der Firma in das Bochumer Handelsregister. „Dieses Konzept ist erfolgreich. Das neue Unternehmen floriert“, steht in der Firmenchronik. Der Firmenname „Tengelmann“ besteht bald im 125. Jahr und wird pünktlich zum runden Geburtstag über den Ladenlokalen abgebaut. Vom gegen Ende des 19. Jahrhunderts schnellen Ausbau des Filialnetzes der beiden Mülheimer Kaufleute wird demnächst kaum noch etwas erkennbar bleiben.

Um weiter „alles aus einer Hand“ an ihre Kunden zu bringen, bauen die Großhändler eine Schokoladenfabrik an der Ulmenallee, die 1912 die Produktion aufnimmt. Dort wird auch die neue Firmenzentrale bezogen, die bis heute noch Sitz der Handelsgruppe ist. Wahrscheinlich entsteht gleichzeitig (Ulmenallee 28) der erste Fabrikverkauf. Er hat lange geschlossen. Auch die Schokoladenfabrik duftet seit 2003 nicht mehr.

Bis in die 1950er Jahre betreibt Tengelmann nur zwei Filialen in der Heimatstadt (Ulmenallee und Kohlenkamp). In Düsseldorf oder Berlin gehört die Handelskette zu „den guten Geschäften mit den feineren Produkten“. 1953 eröffnet Tengelmann in München den ersten Selbstbedienungsladen. Auch in Mülheim wird das Filialnetz dichter.

Der Konkurrenz einen Schritt voraus

Immer sind die Erben daran interessiert, die Produktions- und Vertriebswege der Familienfirmen zukunftssicher zu ordnen. Das goldgelb-rote „T“ – ein stilisierter Brunnen – leuchtet fast in jeder deutschen Stadt sowie im Ausland. Die Tengelmann-Chefs setzen auf Tier- und Umweltschutz, der Konkurrenz oft einen Schritt voraus. Aber die Kunden honorieren das nicht.