Mülheim. . Die Truck Tracks 5 der Theatergruppe Rimini Protokoll sind jetzt gestartet. Der Theater-LKW steuert verschiedene Mülheimer Ziele an.
- Das Theaterprojekt „Truck Tracks 5“ ist eine ungewöhnliche Stadtrundfahrt
- Die Zuschauerbühne ist mobil und rollt als Theaterlaster durch die Stadt
- Aus den Zuschauern werden Voyeure des Alltags
Die erste Irritation erwartet die Besucher beim Einstieg in den Lastwagen am Ringlokschuppen. Auf der Leinwand erscheint ein Bild des Gebäudes im Licht der Dämmerung, obwohl es schon viel dunkler ist. Sorgt die digitale Technik der Filmkamera hier für ein helleres Bild oder ist das nur ein Fake? Als der Lkw mit 47 Zuschauern anfährt, bewegt sich auch das Bild, Parkplatz, Imbiss und Schloß Broich gleiten an den Zuschauern vorbei, und aus den Boxen pulst ein Beat, dringt ein erster strahlender Akkord: Der Beginn einer eigenwilligen wie eindrucksvollen Stadtrundfahrt. Als sich wenig später die Jalousien heben, ist die Überraschung perfekt.
Sieben Orte - sieben Stationen
Das Konzept der rollenden Zuschauerbühne, das unter dem Namen Truck Tracks Ruhr zwischen April 2016 und April 2017 in sieben Ruhrgebietsstädten mit jeweils lokalen „Alben“ präsentiert wird, stammt von der deutsch-schweizerischen Gruppe Rimini-Protokoll, die seit 16 Jahren maßgeblich zu einer Veränderung des Theaters beigetragen hat. Im Ruhrgebiet arbeitet das vielfach ausgezeichnete Team mit 49 lokalen, etablierten und internationalen Künstlern zusammen, um dem rollenden Zuschauerraum mit Wort und Klang Leben einzuhauchen. In Mülheim sind es unter anderem Schorsch Kamerun, Jan Ehlen und Regisseur Sebastian Baumgart.
Aus dem Alltäglichen wird bei der Tour das Besondere
Das Rimini-Prinzip wird dabei auf die Spitze getrieben, denn die Passanten wissen gar nicht, dass sie gerade zu Akteuren auf einer imaginären Bühne werden. Aus den Zuschauern werden Voyeure des Alltags, Überraschendes gibt es nicht zu beobachten, aber der Rahmen verändert die Wahrnehmung. Aus dem Alltäglichen wird das Besondere. Oder wie Aljoscha Begrich, Kurator der Mülheimer Tour und ansonsten am Berliner Gorki-Theater engagiert, es nennt: „Wir sehen das Vertraute, das plötzlich ganz anders klingt.“
Aber wer bewegt sich denn wo bei der Kälte und in der Dunkelheit überhaupt noch auf der Straße? Eine sichere Bank in dieser Beziehung ist der Busbahnhof unter dem Forum, wo sich die Jalousien überraschend das erste Mal öffnen. Eine Gruppe schart sich um den Fahrplan, eine Frau zeigt auf die große Uhr, etwas abseits schiebt ein erschöpft wirkender Mann mit hochgestelltem Kragen ein Sandwich in den Mund. Von dem Lastwagen scheint niemand von ihnen Notiz zu nehmen. Die Zuschauer sind für sie nicht wahrnehmbar, obwohl das Fahrzeug schon sehr auffallend ist. Und schon setzt sich der Wagen wieder in Richtung Tourainer Ring in Bewegung. Der Text über das Reisen geht in der Fülle der Eindrücke unter. Gerne würde man für einen Augenblick die Perspektive wechseln und das Spiel von draußen verfolgen.
Wenn Text und Bilder unfreiwillig korrespondieren
Lustig ist es, wenn Text und Bilder unfreiwillig korrespondieren wie am Einkaufszentrum am Heifeskamp, das später auch noch angesteuert wird. Klingt nach einer Krimihandlung, was da zu hören ist, ehe die Alarmsirenen schrillen.
Nun geht’s zur Autobahn, und die Bilder auf der runter gelassenen Leinwand foppen die Zuschauer schon wieder. Die Ruhraue zieht vorbei, unverkennbar, die Aufnahmen stammen vom Kahlenberg. Und wo sind wir, als die Jalousien sich heben? Am Straßenstrich an der Duisburger Stadtgrenze.
Aber auch unbelebte Industriekulissen werden eindrucksvoll inszeniert – Europipe, Feuerwache und Baustoffzentrum Harbecke liegen auf der Tour. Befremdlich ist allein der Abschluss nach dieser Tour: Denn Applaus kann man niemandem spenden. Den hätten alle Beteiligten dieses großen Projektes, das auf den ersten Blick so unspektakulär erscheint, verdient.