Mülheim. . Anlässlich des Welt-AIDS-Tages berichtet Harry Kirchwehm von seinem Leben mit dem HI-Virus, es ist ein Leben mit Medikamenten und Ungewissheit.
- Harry Kirchwehm aus Mülheim ist seit 13 Jahren HIV positiv, einer von 80 000 in Deutschland
- Heute haben HIV-Patienten dank neuer Medikamente eine ganz normale Lebenserwartung
- Doch die tägliche Einnahme von Chemie besorgt viele wie die weiterhin bestehende Diskriminierung
Über 80 000 Menschen leben in Deutschland mit dem Humanen Immundefizienz-Virus, besser bekannt als HIV. Einer davon ist Harry Kirchwehm (39), der seit 13 Jahren HIV-positiv ist. Zu seinem Alltag gehören nicht nur die Nebenwirkungen von Medikamenten sondern auch weiterhin Diskriminierungen.
2003 erhielt der Recklinghausener, der seit vielen Jahren in einer Mülheimer Beratungsstelle arbeitet, die Diagnose. „Damals dachte ich, dass ich keine 60 Jahre alt werde“, sagt er heute. „Der Erkenntnisstand war ein ganz anderer.“ Heute haben HIV-Patienten eine ganz normale Lebenserwartung.
„Seit 13 Jahren Chemie im Körper“
Dank einer guten Therapie gilt Harry Kirchwehm als nicht mehr ansteckend. „Deswegen denken viele Leute, es wäre alles wieder gut“, sagt der 39-Jährige. Ist es aber nicht. Was viele Menschen nicht bedenken, sind die Langzeitnebenwirkungen. „Ich habe jetzt seit 13 Jahren Chemie in meinem Körper. Was das auf lange Sicht mit mir macht, kann ja noch gar nicht getestet werden“, sagt Kirchwehm. Er erzählt von chronischer Müdigkeit und Kopfschmerzen. Hektik setze ihm sehr schnell zu. Immer häufiger auftretende Krämpfe könnten ein Hinweis auf Nervenschädigungen sein.
Harry Kirchwehm geht offen mit der Erkrankung um, beschweren möchte er sich nicht. Auch, weil es früher schon einmal schlimmer war. Ein altes Medikament führte zu Haarausfall, Übelkeit und Erbrechen, Benommenheit, Alpträumen und regelrechten Rauschzuständen. „Das ging so weit, dass ich im Straßenverkehr nicht mehr ganz bei Sinnen war“, erzählt er. Als dieser Umstand beinahe zu einem Unfall geführt hatte, wechselte er das Präparat.
Therapiepausen gibt es nicht mehr
Aktuell muss der 39-Jährige nur eine Tablette am Tag nehmen. In dem Medikament sind verschiedene Wirkstoffe kombiniert. „Früher hat es mal ganze Cocktails gegeben“, weiß Kirchwehm. Bis zu acht Tabletten hätten Patienten täglich im Vier-Stunden-Rhythmus nehmen müssen. Diese Zeit hat der Recklinghausener aber nicht mehr selbst miterlebt. „Ich habe mit zwei Tabletten, zweimal am Tag angefangen.“
Ganz verzichten können HIV-Patienten auf die Medikamente aber noch nicht. In einer Therapiepause, die heute überhaupt nicht mehr üblich ist, traten bei Harry Kirchwehm sofort dunkle Flecken auf der Haut, sogenannte Sarkome, auf. Alle drei Monate muss sich der 39-Jährige beim Arzt durchchecken lassen. Dazu kommen Augenuntersuchungen und Ultraschall der Organe.
Masseur mit Einweghandschuhen
Durch die gute medizinische Versorgung verschwindet das Thema aber zunehmend aus der Gesellschaft. Dies führt zu jeder Menge Unwissenheit und falschen Vorurteilen. „Ablehnungen und Diskriminierungen gibt es leider immer noch“, seufzt Kirchwehm. Jüngst sei er zum Beispiel von einem Masseur mit Einweghandschuhen behandelt worden, da dieser glaubte, sich sonst anstecken zu können. Kirchwehm klärte den Mann sofort auf. „Leider vermeiden viele Leute solch eine Konfrontation, nicht jeder kann so gut kontern“, weiß Kirchwehm.
Anlässlich des Welt-AIDS-Tages am heutigen Donnerstag hat der 39-Jährige mit seiner Beratungsstelle „Lebenslust“ (Friedrich-Straße 20) eine Plakatkampagne gestartet, um Menschen in Arztpraxen, Apotheken oder Jugendzentren auf das wichtige Thema aufmerksam zu machen.