Holländerin ist jedes Jahr Stammgast im Handelshof und besucht von dort aus Firmenarchive der Region. Spurensuche nach niederländischen Industriearbeitern. Die eigene Familiengeschichte führte nach Mülheim
THEMA DER WOCHE MENSCHEN IM HOTEL Familienspuren haben Anke Engel nach Mülheim geführt. "2002 war ich zum ersten Mal in der Stadt", sagt die 57-Jährige. In einem ausladenden samtroten Sofa sitzt die blonde Frau mit den exakt gescheitelten Haaren und den strahlenden eisblauen Augen und nippt an einem Glas Mineralwasser. Jenseits des Tisches hat sie den Ausblick auf eine Großbaustelle. Tagsüber wird vor dem Handelshof schwer geschafft. Der Stadtumbau läuft vor den neuen Fenstertüren auf Hochtouren.
Jetzt ist auf der Straße Feierabend-Ruhe eingekehrt. Zwei Tische weiter unterhält sich angeregt ein Clübchen älterer Herren. Leises Gläserklirren, Restaurantgeräusche. Noch ist das Abendgeschäft nicht so richtig angelaufen. Anke Engel mag die Ruhe, das Hotel mit seiner gemütlich großbürgerlichen Note. Sie ist Stammgast. Jahr für Jahr verbringt sie mehrere Wochen im Haus. Die Treue macht sich längst bemerkbar. "Ich bekomme immer ein besonders großes Einzelzimmer", sagt sie. "Das ist schon schön. Hier fühle ich mich ganz zuhause."
Anke Engel heißt eigentlich Ank. Aber mit dem Vornamen, weiß sie, tun sich die Deutschen schwer, hängen immer automatisch ein "e" an. Und so liefert sie es gleich selbst mit. Ank Engel lebt in Amsterdam. Sie ist Historikerin und Lehrerin. Und eigentlich hat sie gerade Schulferien. "Aber ich nutze diese Zeit so gut wie möglich. Sonst muss ich ja Geld verdienen." Stattdessen forscht sie in diesen Wochen, vertieft sich in Archiven von Thyssen und Mannesmann, sichtet Listen, sucht Quellen über "Niederländische Arbeiter im Ruhrgebiet von 1900 bis 1940". Den Titel trägt ihr Projekt, das im Idealfall mit ihrer Promotion und einem Buch enden soll. "Ich will wissen, wo kamen die her? Und warum kamen sie her? Trieb sie die Arbeitslosigkeit, gab es eine gezielte Anwerbung?"
2010 hatte sich die Lehrerin ursprünglich als Ziel für den Abschluss ihrer Arbeiten gesetzt. "Aber ich denke, das ist zu schnell." Ohnehin hat die Holländerin in den letzten Jahren festgestellt, dass sie auf einem Feld forscht, auf dem man sich geradezu verlieren kann. "Der größte Fehler, den man machen kann, ist zu viel zu wollen. Man muss sich in seinem Thema beschränken. Und das versuche ich." Vor allem, seit sie realisiert hat, wie riesig das Ruhrgebiet ist. "So viel alte Industrie, so viele Firmen, das ist so viel mehr als ich gedacht hatte."
Angefangen, sagt Ank Engel "hat alles mit meinen Großeltern." Die haben Anfang des letzten Jahrhunderts in Mülheim gelebt. Als Arbeitsmigranten kamen sie aus Holland. Die Industrie bot Stellen. Der Großvater war Maurer und Handlanger bei Thyssen, "Meine Mutter ist 1912 in Speldorf geboren worden". In der Stammrolle bei Thyssen hat sie den Opa gefunden. 1900 hat Cornelis Broertjes dort die Arbeit aufgenommen. Als Verwandten konnte sie ihn aber nur über Geburtsort und Daten identifizieren. Im Firmenbüro hatte man den Namen eingedeutscht.
In ihrem Laptop trägt Ank Engel Namen und Fakten zusammen. "In der Regel bin ich bis 17 Uhr im Archiv, dann komme ich ins Hotel, esse was und dann gehe ich laufen. Man kriegt ja sonst steife Beine", sagt sie und lacht. Mal kauft sie sich ein Buch oder arbeitet abends ihre Listen auf. "Sehr nette Leute hier, das gefällt mir gut", sagt Ank Engel über ihren Arbeits- und Urlaubsort.
Über das Internet hat sie in den Handelshof gefunden. "Das hat mir gut gefallen. Das Hotel liegt zentral, außerdem gibt es eine Garage. Das war auch ein Kriterium." 1922 sind die Großeltern und die Mutter von Ank Engel bereits nach Holland zurückgekehrt. "Meine Mutter ist nie wieder nach Mülheim gekommen. Das war wohl für sie nicht so eine schöne Zeit." Dafür kommt Ank Engel sicher wieder."Ich will wissen, wo kamen die her, warum kamen sie her?""Angefangen hat alles mit meinen Großeltern."