Laut Familienbericht rückt die „traditionelle” Familie immer mehr in den Hintergrund, Alleinerziehende hingegen in den Vordergrund. Auch Sigrid Hanke erzieht ihre Töchter ohne den Vater
„Innerhalb des schrumpfenden Familiensektors beobachten wir zudem eine Pluralisierung der Lebensformen. Neben der „traditionellen” Familie (verheiratete Paare mit Kindern) haben andere Lebensformen von Eltern mit Kindern (uneheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern, Fortsetzungsfamilien, Alleinerziehende) an Bedeutung gewonnen (...) zeigt sich, dass Familien, die (weiterhin) in den (Groß)-Städten wohnen, häufig Alleinerziehende, Familien mit Migrationshintergrund und insbesondere arme Familien sind (...)”. „Wahnsinnig schwer” empfand Sigrid Hanke die Situation, als sie vor 15 Jahren all ihren Mut zusammennahm und sich entschied, ihre damals sechsjährige Tochter alleine großzuziehen. Auch ein finanzieller Kraftakt. „Da wächst man über sich hinaus”, schildert die 45-Jährige.Die älteste Tochter ist inzwischen 21, sorgt für sich selbst. „Vor zehn Jahren habe ich noch ein Mädchen bekommen, aber mit dem Vater blieb ich nicht lange zusammen.” Vor zehn Jahren dann machte die gelernte Einzelhandelskauffrau ihr Hobby zum Beruf, stieg in das Familienunternehmen ein und arbeitet nun seit zehn Jahren für die Stadt Mülheim als Schulhausmeisterin – sorgt aktuell für Ordnung an der Zunftmeisterschule.„Die Menschen haben sich verändert, lassen sich schneller scheiden. Es gibt kaum noch einen Zusammenhalt”, findet Sigrid Hanke eine Antwort auf die Frage, warum immer mehr Erwachsene alleinerziehend sind. Auch in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis sei sie in dieser Situation kein Außenseiter:Die Anteile alleinerziehender Mütter und Väter an allen Familienhaushalten liegen in Mülheim insgesamt bei 17,9 Prozent (...) Insgesamt ist in neun der 27 Mülheimer statistischen Bezirke mehr als jeder fünfte Haushalt ein Alleinerziehenden-Haushalt (...)”. Viermal dreht die zweifache Mutter inzwischen den Euro um. Allerdings nicht erst seit gestern. Mit der Einführung der neuen Währung sei es besonders schlimm geworden. Zuvor konnten sie immer 150 Mark sparen. Heute fehlen monatlich 300 Euro im Portmonee. „Einerseits will ich die Wünsche meiner Kinder erfüllen. Andererseits bin ich wirklich dazu gezwungen, auf Angebote zu achten.”Ernüchternd sind ihre Erfahrungen mit Vermietern gewesen. „Als Alleinerziehende ist es schwer, eine Wohnung zu finden. Entweder hieß es, die Kinder würden alles kaputt machen oder sie seien zu laut. Einmal wurde ich gefragt, ob ich überhaupt die Miete zahlen könnte.” Doch mit dem Job bei der Stadt hat sie eine Wohnung in unmittelbarer Nähe der Schule bekommen, zieht jetzt in die Hausmeisterwohnung der Schule. Von Anfang an hat Sigrid Hanke alles selbst in die Hand genommen, von ihrem Gehalt eine Tagesmutter finanziert. „Da meine Jüngste hier noch in die vierte Klasse geht, kommt sie nach dem Unterricht in mein Büro, erledigt ihre Schularbeiten. Anschließend gehen wir zusammen nach Hause”, erklärt die 45-Jährige. „Und wenn sie nach den Sommerferien mit zwei Freundinnen auf die Gustav-Heinemann-Schule wechselt, kann sie sich jederzeit an meinen Bruder wenden. Der ist dort praktischerweise Hausmeister.” Allerdings ist ihr bewusst, dass dies nicht die Regel ist. „Gerade Alleinerziehende haben die größten Probleme mit Kindern”, meint Sigrid Hanke. Der lebendige Beweis wird ihr nahezu jeden Nachmittag auf dem Schulhof vor Augen geführt. „Sie lungern draußen herum, trinken Alkohol, nehmen Drogen zu sich, Zehnjährige, die rauchen – ich bin erschüttert, wie sich die Jugendlichen verhalten. Das ist wie ein Rattenschwanz, der sich durch die Stadt zieht.”Es sei Aufgabe der Stadt, insbesondere der Politiker, die Kinder mehr „auf den Weg zu bringen”. Und: „Mehr Kindergeld finde ich ganz angemessen.” – Sie muss ohne den Unterhalt für die Jüngste auskommen.
Nichts bleibt übrig.1800 Euro bekommt Sigrid Hanke monatlich als Gehalt – netto bleiben ihr davon 1200 Euro, hinzu kommt das Kindergeld. Allerdings belaufen sich die Ausgaben der Alleinerziehenden monatlich auf 1400 bis 1500 Euro. „120 Euro Benzin, 40 Euro für die Versicherung des Autos, Telefon, sonstige Versicherungen, 600 Euro für Lebensmittel, Strom, Freizeit, Taschengeld...”, rechnet die zweifache Mutter vor. Unterm Strich bleibt da nichts übrig.