Erinnerungen an die Kindheit und einen der kältesten Winter
Es gab Jahre der Eiszeit, die wir rund um unser Viertel an der Ruhr erlebten, spannend und abenteuerlich.
1957 schien uns das Eis so stark, dass wir Jungs es wagten, die Eisfläche zu betreten; wir fassten uns an die Hände, bildeten eine Kette. Die knarrenden, knisternden Geräusche unter unseren Füßen flößten uns Angst ein, einige dunklere Stellen signalisierten uns: Vorsicht, hier sind einige wärmere Stellen, vielleicht fließt hier warmes Abwasser.
40 Jahre früher, so erzählte mir oft meine Mutter, im so strengen Winter des Jahres 1917, war der Rhein total zugefroren. 1963, Mitte Januar, nach wochenlangen Temperaturen von bis zu minus 20 Grad Celsius, war es dann wirklich so weit, „unsere“ Ruhr war ganz zugefroren. Broicher Bürger nutzten die Gelegenheit, ihren Einkaufsweg abzukürzen, vom Kaufhof kommend wurde nicht der längere Weg über die Schlossbrücke gewählt, sondern unterhalb des Stadtbades die Ruhr zu Fuß zur Stadthalle überquert. Doch obwohl das Eis inzwischen bis zu 30 cm dick war, war das Betreten der Eisfläche amtlich nicht freigegeben.
Am 18. Januar 1963, an einem Freitagabend, es war schon dämmerig, gingen mein älterer Bruder und ich genau diesen Weg. Hier an dieser Stelle, wo wir schon so oft schwimmen waren, uns von der Strömung bis zur Eisenbahnbrücke als „toter Mann“ hatten treiben lassen, hier wollten wir das erste Mal auf der Ruhr spazieren gehen. „Komm, lass uns bis zur Stadthalle und Schlossbrücke weiter gehen.“ Mein Bruder, eh schon immer sehr viel vorsichtiger als ich, rief mir noch nach: „Pass auf, Herbert.“
Zu spät, ich brach mit beiden Beinen durch das Eis, versank bis zur Hüfte im eiskalten Wasser, hatte aber glücklicherweise instinktiv sofort meine Arme ausgebreitet, so dass ich mich auf der die Einbruchsstelle umgebenden dicken Eisdecke abstützen und auch wieder hoch ziehen konnte. Ich versuchte sofort, zum rettenden Ufer zu laufen. Doch ich brach wieder mit einem Bein ein, zog es wieder aus dem Wasser, legte mich flach auf das Eis und robbte in Richtung Bruder Werner. Als ich wieder festes Eis unter mir verspürte, rannte ich los - ich wusste, der Weg zur Charlottenstraße war nicht weit. Atemlos hastete ich in unsere Wohnküche. . . .
Am Sonntag, dem 20. Januar 1963, erlebte Mülheim eine Völkerwanderung auf der zugefrorenen Ruhr. Die Polizei warnte über das Megaphon – vergebens.