Mülheim. Die letzte Ordensschwester zieht aus. Über 60 Jahre lang arbeitete und wohnte sie im Krankenhaus. Nun geht die 86-jährige ins Kloster
- In 30 Jahren auf der Säuglingsstation hat sie rund 19 000 Babys versorgt
- Schlimme Erinnerungen an die Contergan-Zeit
- Abschiedsmesse wurde jetzt in der Krankenhauskapelle gefeiert
Glockengeläut von St. Mariae Geburt schallte am Montagmorgen über die Stadt. Es rief zum Abschiedsgottesdienst für Schwester Ingeborg und lässt schon erahnen, dass es sich hier um eine bedeutsame Katholikin handelt. Die Ordensfrau selber hätte vermutlich auf großes Getöse um ihre Person verzichtet. Nach mehr als 60 Jahren Dienst und Leben im Mülheimer St. Marien-Hospital habe sie sich eigentlich lieber wegschleichen wollen, verriet die 86-jährige. Doch am Ende wirkte sie froh und gerührt, dass es anders kam.
Wenigstens fand die Messe, die mit rund 60 Gästen gefeiert und von Pfarrer Michael Janßen zelebriert wurde, nicht im wuchtigen Kirchenschiff statt, sondern in der Krankenhauskapelle: Schwester Ingeborgs Lieblingsort. Zwar wurde die ehemalige Oberin schon 2001 in den Ruhestand versetzt, sie blieb aber einfach da, „um Händchen zu halten und mit den Leuten zu reden“, wie sie sagt. Bis vor kurzem wohnte sie auch im St. Marien-Hospital, jetzt hat sie ihr Zimmer geräumt und ist nach Essen-Schönebeck gezogen, ins Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern von der Heiligen Elisabeth.
Immer gab es Ordensfrauen im Marien-Hospital, nun nicht mehr. Sie selber habe als junge Frau eigentlich heiraten und Kinder bekommen wollen, erzählt Schwester Ingeborg, die ansonsten ungern Privates preisgibt. „Aber das Leben spielt manchmal anders. Es ist eine Berufung.“ Und in Sachen Säuglingspflege ist sie letzten Endes auch nicht zu kurz gekommen. Als junge Kinderkrankenschwester begann sie 1952 im St. Marien-Hospital und blieb dem Haus treu, abgesehen von wenigen Dienstjahren im Kloster sowie am Essener St. Elisabeth-Krankenhaus. 30 Jahre lang, bis 1990, arbeitete sie auf der Neugeborenenstation des St. Marien-Hospitals, die 2001 geschlossen wurde. Die Schwester schätzt, dass sie insgesamt rund 19 000 Babys versorgt hat.
Ihren ersten freien Nachmittag habe sie sich 1988 gegönnt, „mit schlechtem Gewissen“, dann aber nichts Besonderes unternommen, sondern schlicht „geschlafen“.
Gefragt nach der härtesten Erfahrung ihres Berufslebens, fallen Schwester Ingeborg die frühen Jahre ein, sie sagt: „Die Contergan-Zeit. Das war ganz schlimm.“ Ultraschall und andere Früherkennungsverfahren gab es noch nicht, und die Erinnerung, ahnungslosen Müttern ihre schwer geschädigten Babys zeigen zu müssen, treibt ihr bis heute Tränen in die Augen.
Doch zu mehr als 98 Prozent habe sie ihre Zeit am St. Marien-Hospital als glückliche, geschenkte Jahre empfunden. Offenbar strahlte sie das auch aus. Als Geschäftsführer Hubert Brams ihr in seiner kurzen Dankesrede während der Abschiedsfeier bescheinigt: „Sie haben oft gute Laune ins Haus gebracht“ – da nicken in der Kapelle viele Köpfe.
Einige Pflegeschülerinnen und -schüler singen ihr am Altar ein Ständchen: das „Hallelujah“ des vor wenigen Tagen verstorbenen Songschreibers Leonard Cohen. Schwester Ingeborg umarmt die jungen Leute später und stellt ihnen ein gutes Zeugnis aus: „Ich habe sie gelobt. Es ist wichtig, dass sie strahlen.“ Sie habe neulich selber ein paar Tage als Patientin hier gelegen und sei angelächelt worden: „Wie gut das tut, habe ich gemerkt.“
Ära der Ordensfrauen endet
Der Orden der Barmherzigen Schwestern von der Heiligen Elisabeth, dem Schwester Ingeborg angehört, hat sein Mutterhaus in Essen-Schuir gerade aufgegeben. Das ländlich-grün gelegene Kloster an der Stadtgrenze zu Mülheim-Raadt war den nur noch rund 30 verbliebenen Frauen zu groß geworden und auch zu abgelegen. Denn die Schwestern im Alter zwischen 60 und weit über 90 Jahren sind längst nicht mehr alle mobil. Neuer Wohnsitz ist nun Kloster Emmaus in Essen-Schönebeck.
Als Schwester Ingeborg im Oktober 1960 ihre Arbeit auf der Neugeborenenstation des St. Marien-Hospitals aufnahm, prägten Ordensfrauen im weißen Habit noch das Bild des Hauses. Sie erinnert sich: 48 Schwestern seien sie damals gewesen. Zuletzt war sie die Einzige. Ihr Zimmer im Krankenhaus, das sie bis vor kurzem bewohnte, soll aber bestehen und jederzeit für eine Rückkehr offen bleiben, versprach Hubert Brams, Geschäftsführer des St. Marien-Hospitals, bei der Verabschiedung.
Mit Blick auf die Krankenhausseelsorge kündigte er außerdem an, dass ab 1. Januar 2017 wieder eine Vollzeitstelle besetzt werden soll. Momentan teilen sich zwei Geistliche diese Arbeit.