Hardy Bock und Adam Masava bemalen die 543 Quadratmeter große Wand am ehemaligen Frauengefängnis. Es ist ein Projekt des Weltnetzwerkes NRW. Eröffnung ist für den 23. November geplant
Vor sechs Jahren rissen Arbeiter vor dem ehemaligen Frauengefängnis die Hochbrücke ab. Die Folgen für den Verkehrsfluss interessieren hier nicht näher, optisch bieten sich seitdem völlig neue Perspektiven. Mit der neuen Großzügigkeit kam aber auch eine Schmuddelecke ganz groß raus.
Eine offene Wunde wird geschlossen
So attraktiv die Front des ehemaligen Frauengefängnisses an der Gerichtsstraße auch ist, die Rückseite zur Friedrich-Ebert-Straße ist es keineswegs. Planungsdezernent Peter Vermeulen spricht von einer „offenen Wunde“. Handlungsbedarf spürte er schon lange. Immer wieder, wenn er an dem Komplex, der seit der Zwangsversteigerung vor einigen Jahren von der Awo für die Drogenberatung und der Justiz für die Lagerung von Gerichtsakten genutzt wird, vorbeifuhr, war ihm die trostlose Fassade ein Dorn im Auge: Eine riesige, fast fensterlose schmucklose, aber beschmierte Wand, der ein neuer Anstrich schon seit langem gut täte. Doch der würde auf der 543 Quadratmeter großen Fläche deutlich über 30 000 Euro kosten.
Aber die Stadt ist weder Eigentümer, noch kann sie leicht über größere Summen verfügen. Im Laufe der Jahre wurde die Wand unansehnlicher und war mit Graffiti übersät. Nicht alle schlecht. Die Silhouette von Don Corleone (Marlon Brando in der Pate) faszinierte auch Vermeulen.
Für die Stadt zum Nulltarif
Vor einigen Monaten ereilte den Dezernenten dann ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte, denn es ermöglichte der Stadt eine attraktive Wandgestaltung zum Nulltarif: Die Weltbaustelle. Das Eine Welt Netz NRW suchte große Wände in 17 Städten, um auf die ebenso vielen Nachhaltigkeitsziele, die seit Anfang des Jahres weltweit gelten, hinzuweisen. Dazu zählt unter anderem, Armut wirksam zu bekämpfen, Bildung und die Geschlechtergerechtigkeit zu fördern. Dabei sollte jeweils ein lokaler Künstler mit einem aus dem Süden arbeiten.
Angst, dass es alle „doof“ finden könnten
„Meine größte Angst war, dass auf dieser Wand etwas entsteht, das alle doof finden“, sagt Vermeulen, der für diese Baustelle die Schirmherrschaft übernommen hat. „Ein Künstler versteht sich am besten immer mit sich selbst“, weiß der Dezernent und spricht von einem großen Experiment. Die Wahl der Künstler war für ihn beruhigend. Auf Hardy Bock war er schon vor Jahren, noch als Kulturdezernent, aufmerksam geworden. Als Mitglied der Gruppe Zeitgenossenschaft hatte er 2006 den Ruhrpreis erhalten. Und der aus Nairobi stammende Adam Masava hat 2012 bereits in Essen ein Mammutprojekt realisiert und war einer der Künstler, die an der A 40 die Lärmschutzwand bemalt haben. Aber zumindest wollte Vermeulen zur Beruhigung zuvor den Entwurf sehen. Der sagte ihm zu, aber um sicherzugehen, konsultierte er noch jemanden, der es wissen muss: Wolfgang Suttner, den Vorsitzenden des Kunstrates. Der habe dann von einem großen Entwurf und etwas ganz Tollem gesprochen. Inzwischen bestätigen die Fortschritte an der Wand diese Einschätzung.
Es ist es schon etwas her, da steht Adam Masava an einem Sonntagvormittag schon früh auf der Baustelle. Er arbeitet schnell und konzentriert. Er muss fertig werden, zumindest weitestgehend. Nach sechs Wochen ist es sein letzter Tag in Mülheim. Der blaue Himmel freut ihn aus doppeltem Grund. Kein Regen, der ihn wieder in der Arbeit zurückwerfen würde und die Sonne verspricht auch noch ein wenig Wärme. Es ist schweinekalt hier auf dem Gerüst, aber noch steht er im Schatten des Gebäudes. Seine Hände sind eisig. Später wird ihn die Sonne wärmen, aber er wird nicht ganz fertig und will versuchen, noch einmal wiederzukommen.
Begegnung mit der Polizei
Weil seine Zeit knapp bemessen ist, hat der 30-jährige auch abends bei Dunkelheit gemalt. Eines Abends hört er aufgeregte Stimmen. Er hält das für nichts Besonderes, schenkt den Rufen zunächst auch keine weitere Aufmerksamkeit. Es gab bei der Arbeit viele Begegnungen mit Menschen, die interessiert und begeistert waren und die beiden ermunterten. Weil er kein Deutsch versteht, weiß er auch nicht, um was es geht. Erst als ihn der helle Strahl einer Taschenlampe trifft, wird ihm klar, dass es ernst wird. Mit seiner Nachtschicht hat er die Aufmerksamkeit der Polizei erregt. Die Beamten rufen ihn zu sich, halten ihn wohl für einen Schmierfinken. „Ich habe gar nicht glauben können, dass das Polizisten sind, weil die so freundlich und ruhig waren“, erzählt er. Aus seiner kenianischen Heimat sei er andere Umgangsformen der Ordnungshüter gewohnt. Sie begleiten ihn zur Wohnung vo
n Hardy Bock, die gleich um die Ecke liegt. Als Masava seinen Schlüssel aus der Tasche holt, rutschen ihm ein paar Geldmünzen aus der Tasche und fallen auf den Boden. Ein Polizist bückt sich und hebt sie für ihn auf. „In Kenia wäre das völlig undenkbar“, stellt er lachend fest.
Inzwischen ist es deutlich kälter geworden, Hardy Bock erkältet, und mit Sorge betrachtet er die Wetterprognosen. Schnee droht. Um bei dem Schmuddelwetter besser voran zu kommen, hat er die Wasserfarbe, die bei Regen verläuft, gegen Spraydosen getauscht. Für den 23. November ist die Präsentation des fertigen Kunstwerkes vorgesehen. Ein strammes Ziel.
Gewaltige Dimensionen
Das Riesenwerk ist auch körperlich einfach anstrengend. Bis er mit dem Wäschekorb voller Farben über die Leitern bis zur achten Etage am Stufengiebel empor gestiegen ist, kann das schon mal 20 Minuten dauern. Und man weiß, ein Kunstwerk kommt erst richtig mit Abstand zur Geltung. Da muss nicht nur der Betrachter einen Schritt zurücktreten, sondern auch der Künstler. In diesem Fall heißt das auf die andere Straßenseite auf den Parkplatz an der Hütte zu wechseln. Der Hut der Figur auf der Wand ist allein etwa so groß wie Bock selbst.
Die Künstler haben sich super verstanden und für einige Wochen eine WG gegründet. Bock hat Masava bei sich einquartiert. „Abends haben wir vor der Wand gesessen und mit Worten gemalt. Unsere Ideen haben wir mitgeschnitten“, erzählt der 37-Jährige, der auch Erfahrungen mit einem Großprojekt hat. Für das Diakoniewerk bemalt er die Altkleidercontainer mit Fantasiewesen. 144 der 250 Behälter hat er in zwei Jahren schon gestaltet. Die Wand haben sich beide aufgeteilt. Der eine malt die Szenen aus dem afrikanischen Slum, der andere Phantastisches, wo Bäume zu Schloten werden und die Wurzeln in eine Löwenfigur münden.