Mülheim. Azubis eines Mülheimer Altenpflegeseminars haben sich eine Projektwoche lang dem Thema Tod und Sterben gewidmet. Dabei flossen auch Tränen.

Wer in der Altenpflege arbeitet, erlebt auch sterbende Menschen. Damit umzugehen, ist laut Curriculum Bestandteil der Ausbildung, erklärt Stephanie Kamp, Leiterin des Altenpflegeseminars der Kaiserswerther Diakonie in Mülheim. In der Regel werde das Thema im dritten Jahr aufgegriffen, aber sie hätten es jetzt vorgezogen: „Denn die Konfrontation erfolgt in der Praxis sehr früh.“

Das hat auch Lena Buschhaus, erfahren, eine der 14 Auszubildenden, die im ersten Jahr an dieser Schule lernen. Die 22-Jährige, die in einem Mülheimer Pflegeheim arbeitet, erlebte nach wenigen Monaten im Spätdienst, wie eine Frau „ganz plötzlich“ starb und noch „45 Minuten lang reanimiert werden musste, bis der Notarzt kam“. Sie selber, unerfahren mit der Situation, neu im Beruf, sei aber aufgefangen worden: „Die Wohnbereichsleitung hat sofort mit mir gesprochen.“ Auf eigenen Wunsch habe sie die Verstorbene dann noch gepflegt und angekleidet mit deren Lieblingssachen.

Das Thema Sterben

Auch Mitschülerin Anna Waclawik wurde vorsichtig an einen Ernstfall herangeführt: „Ich wurde extra dazu geholt, um zu sehen, wie das Abschiedsritual aussieht.“ Nicht immer läuft es so vorbildlich. Azubis berichten auch von Toten, die stundenlang auf dem Flur liegen bleiben. „Dramatische Einzelfälle“, meint Stephanie Kamp. Klar sei aber auch: Aus Kostengründen müssen die Zimmer in stationären Einrichtungen stets schnell geräumt und wieder belegt werden.

Um sich den Thema Sterben dagegen in aller Ruhe widmen zu können, sind die angehenden Altenpfleger für drei Tage in ein Gästehaus in Hattingen gezogen. Mitzubringen war unter anderem: ein persönliches Erinnerungsstück an einen Verstorbenen und ein Schuhkarton mit Gegenständen, die man im Jenseits gerne bei sich hätte. „Wir hatten anstrengende Tage“, berichtet die Seminarleiterin, „es sind viele Tränen geflossen.“

Hilfreich für alle

Ein Bestattungsinstitut und das Mülheimer Hospiz hat die Gruppe besucht, über den Hauptfriedhof ließ sie sich führen, später stand auch ganz praktischer Pflegeunterricht mit speziellem Blick auf Sterbende und Tote auf dem Programm. Phillip Wienke hatte vor der Projektwoche seine Bedenken: „Ich hatte Sorge, es wird eine Art Seelenstriptease.“ Letztlich aber war es offenbar für alle hilfreich.

Dass alte Menschen, die sie betreuen, sterben, „ist natürlich“, sagt Anna Waclawik. „Aber mit todkranken Kindern arbeiten, das könnte ich nicht.“

Kondolenzbücher erinnern an die Ehemaligen

Der Umgang mit Sterben und Tod gehört generell zum Ausbildungsstoff in der Altenpflege, das betont auch Jens Schmidt, Leiter des Wohnparks Dimbeck. „Und wenn so eine Situation auf der Station eintritt, werden die jungen Leute damit auch nie allein gelassen.“

Neben den Pflegekräften sind im Ernstfall auch die Mitarbeiterinnen des Sozialen Dienstes gefragt. Sie pflegen beispielsweise die Kondolenzbücher, welche im Eingangsfoyer des Seniorenheims ausliegen: Mit Fotos, Lebensdaten, vielfach auch Todesanzeigen wird darin an die einzelnen Verstorbenen erinnert. Der bislang letzte Eintrag erfolgte Mitte Juli.

Das Konzept ist Bezugspflege

Ähnliche Erinnerungsbücher werden in den drei städtischen Seniorenheimen geführt, berichtet Sven Fromen, Pflegedienstleiter im Haus Kuhlendahl. „Manche Mitbewohner blättern zwischendurch gerne darin, um sich an Ehemalige zu erinnern.“ Grundsätzlich wolle man das Thema Sterben nicht als Tabu behandeln, sondern bereits im Vorfeld mit jedem Einzelnen über den finalen Lebensabschnitt reden. „Wir führen ethische Fallbesprechungen durch“, so Fromen, „an denen, wenn möglich, auch die Angehörigen teilnehmen.“ Um die Formulierung einer Patientenverfügung geht es dabei etwa, um individuelle Wünsche der Seniorinnen und Senioren. „Auch die Hausärzte kommen erfreulicherweise immer öfter mit ins Boot“, berichtet der Pflegedienstleiter, „der Umgang wird offener. Das gibt auch unseren Mitarbeitern größere Sicherheit, ethisch wie rechtlich.“

Das Konzept in den städtischen Heimen, wie auch in vielen anderen, heißt: Bezugspflege. Es funktioniert so, dass eine Fachkraft als Experte für bestimmte Bewohner zuständig ist. Entsprechend eng ist oft die persönliche Bindung über Jahre. Beim Abschied am Grab sind in der Regel auch Mitarbeiter aus dem Pflegeheim dabei.