Mülheim. . Die Initiative Tschernobyl-Kinder hat etlichen Kindern ermöglicht, sich für einige Wochen in Mülheim zu erholen. Noch heute gibt es viel zu tun.
Der 11. September 2001, der 13. Juli 2014, der 26. April 1986: Daten, die sich bei Manfred Rixecker einbrannt haben. Es waren die Terroranschläge aufs World Trade Center, der vierte Weltmeistertitel der Fußball-Elf und: die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl. „Was man an jenem Tag gemacht hat, weiß doch jeder noch genau“, glaubt Rixecker. Er jedenfalls war heute vor 30 Jahren – am Tag des verheerenden Atom-Unfalls – auf einer Studienreise durch Tunesien. Und auch wenn die Fernseh-Nachrichten nur auf Französisch verlesen wurden, „haben wir sofort geahnt, dass das schlimme Folgen haben wird“. Folgen, die Jahre andauern sollten – und zur Gründung der Initiative Tschernobyl-Kinder führten.
Seit drei Jahren ist der 70-jährige Rixecker 2. Vorsitzender der Mülheimer Hilfsorganisation. Verbunden ist er der Initiative schon länger: durch Tatjana, eine Weißrussin, die 2002 mit gerade elf erstmals bei Rixeckers einzog. Die Initiative hatte damals Gasteltern gesucht für rund 70 Kinder, die eigentlich in einem Waisenhaus im weißrussischen Shodino lebten, aber für vier erholsame Wochen in die Stadt kommen sollten. „Weißrussland“, so Rixecker, „war zu 70 Prozent von der atomaren Wolkendecke bedeckt worden und auch Shodino lag im gefährdeten Gebiet.“
Zu Kindern von einst besteht heute noch Kontakt
Das Immunsystem der Kinder sei extrem schwach gewesen – in Mülheim sollten sie zu alter Stärke zurückfinden, zumindest vorübergehend. Tatjana zog also ein, und kam in den nächsten neun Jahren immer wieder. „Über die Jahre ist sie zu einem echten Familienmitglied geworden.“ Noch heute besteht Kontakt. E-Mails gehen hin und her, und die 24-Jährige bekommt nach wie vor Päckchen. Im vergangenen Jahr hat Rixecker sie sogar in Minsk besucht.
Jubiläumsfest mit Kindern aus Shodino
Die Initiative Tschernobyl-Kinder wurde 1992 gegründet, feiert also 2017 ihr 25-jähriges Bestehen. Zum Jubiläumsfest im Juni sollen all die Kinder aus Shodino eingeladen werden, zu denen noch Kontakt besteht. Rund 30 werden wohl kommen.
Im Laufe der Jahre hat die Initiative mindestens 40 Lastwagen vollgepackt mit Hilfsgütern wie Rollatoren, Gehhilfen, Mobiliar. . . Jeder Hilfstransport hatte mindestens 20 Tonnen geladen, so der 2. Vorsitzende, Manfred Rixecker.
Auch andere Mülheimer Familien halten Kontakt zu den Tschernobyl-Opfern. Um die 500 Jungen und Mädchen, schätzt Rixecker, sind über die Jahre in die Ruhrstadt gekommen, oft mehrmals. Dagmar van Emmerich, die der Initiative 22 Jahre vorstand, hatte einst die Idee – und es entwickelte sich zu einer großen Sache. Zur Finanzierung dient seit 20 Jahren auch der Erlös des Tschernobyl-Ladens an der Ecke Kohlenkamp/Bachstraße. 30 000 Euro kämen jährlich im Schnitt durch den Verkauf des gespendeten Trödels für die Initiative zusammen, so Rixecker.
Waisenhaus bis 2009 unterstützt
2009 wurde das Waisenhaus geschlossen; die Initiative sah sich nach einem neuen Betätigungsfeld um. „Seither fördern wir Sozialprojekte.“ Ein Jugendzentrum in Shodino wurde gebaut. Geld fließt zudem an ein Sozialzentrum für ältere Menschen, eine Kinder-Nothilfeeinrichtung sowie ein Behindertenzentrum. 30 Kindern, die dort zu Hause sind, ermöglicht die Initiative jährlich eine sechswöchige Auszeit in einem Rehazentrum.
Außerdem unterstützen die Mülheimer einen Kindergarten und eine Schule in Dobrin, einem Ort 50 Kilometer vom Reaktor, in dem damals absolut keiner mehr wohnen durfte. Die Einwohner aber missachteten diese Anweisung und blieben, erzählt Rixecker. Ihre Zahl hat sich mittlerweile halbiert, „und noch immer sterben Menschen an den Folgen der Katastrophe“. Nach 30 Jahren aber gelte zumindest der Boden nicht mehr als kontaminiert. Reichlich Arbeit werde es für die Initiative übrigens auch künftig geben. Man konzentriere sich heute auf die baulichen Maßnahmen an den Sozialeinrichtungen, „und die nehmen kein Ende“.