Mülheim. Gespräch mit der Mülheimer Pfarrerin Dagmar Tietsch-Lipski von der Ev. Lukasgemeinde über die Ostertage und deren Sinn zeitgemäß zu übersetzen.
Ostern ist wie auch Weihnachten für die Kirchen etwas Herausragendes, da sind die Gotteshäuser voll. Wenn aber an normalen Sonntagen nur 50 bis 70 Menschen zu Ihnen in die Kirche kommen, betrübt Sie das?
Dagmar Tietsch-Lipski: Das betrübt mich nicht. Mich betrübt, wenn immer mehr von meiner Zeit für Verwaltungsarbeiten draufgeht statt für Begegnungen mit Menschen. Wenn ich zu einer 85-Jährigen zum Geburtstag gehe, die sonst keiner mehr besucht, dann ist das nicht nur wichtig, es ist auch Kirche. Wir sollten nicht auf Masse schielen. Gerade die Seelsorge und Betreuung von Familien in schwierigen Lebenssituationen ist nach wie vor wichtig und auch gewünscht. Ich denke unter anderem an Taufen, an Beerdigungen.
Wenn wir jetzt auf die Straße gehen würden und die Menschen nach dem eigentlichen Sinn und der Bedeutung von Ostern befragen, wie viele könnten uns die Fragen beantworten?
Tietsch-Lipski: Ich schätze mal etwa 30 Prozent. Es ist leider viel Wissen verloren gegangen. Wir stehen als Kirche da immer wieder vor der Frage: Sollen wir mehr auf Menschen zugehen oder sollen diese zu uns kommen?
Ostern ist Tod und Auferstehung, eine mystische Geschichte, die wir seit Hunderten von Jahren hören. Wie können Sie die heute noch vermitteln?
Tietsch-Lipski: Ostern ist für mich mehr als der Blick auf ein leeres Grab. Es geht darum, Vergangenes zu verabschieden und Neues zu wagen. Ostern bedeutet auch: Leben ist Veränderung, und Neues entsteht manchmal ganz unerwartet und ganz anders, als zuvor gedacht. Es ist richtig, wir müssen Ostern immer wieder übersetzen.
Krieg, Terror, Flüchtlingskrise – das prägt leider derzeit unsere Zeit. Wie würden Sie die Osterbotschaft daraufhin übersetzen?
Tietsch-Lipski: Im Hinblick auf unsere gegenwärtige Situation in Deutschland heißt das für mich konkret, der immer neuen Angst vor Veränderungen mutig und kreativ zu begegnen und nicht mit Abwehr und Abschottung reagieren. Und: Nur jammern hilft nicht.
Muss Kirche, müssen Pfarrer und Pfarrerinnen, eine andere Sprache finden, um die Menschen mitzunehmen, sie überhaupt zu erreichen?
Tietsch-Lipski: Wir müssen die Bibel, die Botschaft für jedes Alter anders übersetzen. Kindern muss ich die Osterbotschaft ganz anders erzählen, was ich auch spielerisch tue, als einem Jugendlichen oder einem Älteren. Es geht immer darum: Was hat das für Konsequenzen für mein Leben? Es gehört zu den Aufgaben der Pfarrerinnen und Pfarrer, das mit zu erarbeiten. Kirche sollte auch mehr neugierig machen.
Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgabe an den Ostertagen?
Tietsch-Lipski: Zu vermitteln, dass es immer Hoffnung gibt. Das ist heute noch wichtiger geworden. Wir leben leider in einer Zeit, in der viel Negatives im Vordergrund steht. Das Gute, und das ist nicht wenig, wird oft überdeckt. Es gibt viele Ängste, Sorgen um die Sicherheit, um den Wohlstand.
Ist das nicht nachvollziehbar?
Tietsch-Lipski: Sicher, auch ich mache mir Sorgen, große Sorgen um Europa. Es ist schlimm, was wir derzeit erleben. Es gibt viel Dunkelheit. Aber ich sage auch, es gibt immer eine Alternative zu Hass und Gewalt. Das lehrt uns übrigens die Bibel in der Geschichte von Kain und Abel. Wir müssen auch wieder lernen, Dinge zu schätzen. In Deutschland haben wir nahezu alle eine Wohnung, wir haben eine Heizung, wir haben genug zu essen und zu trinken. Den Meisten von uns geht es gut.
Was macht aus Ihrer Sicht die Ostergeschichten glaubwürdig?
Tietsch-Lipski: Dass da eben nicht so getan wird, als ob alles ganz glatt und problemlos verlaufen wäre, sondern dass da auch von Zweifeln die Rede ist, von einer Skepsis und von Unglauben.