Das Martyrium, das ein Säugling in den ersten fünf Wochen seines Lebens in der Wohnung seiner Eltern in Mülheim durchlitten haben muss, ist kaum vorstellbar. Ende 2012 wurden bei dem kleinen Mädchen, das am 14. November das Licht der Welt erblickte, insgesamt neun Knochenbrüche festgestellt. Linkes und rechtes Bein, der rechte Arm und der Kiefer waren teils mehrfach gebrochen. Der Vater des Kindes wurde gestern in zweiter Instanz vom Landgericht Duisburg wegen Misshandlung Schutzbefohlener zu 18 Monaten Jugendhaft mit Bewährung verurteilt.
Mutter schweigt
Das Amtsgericht Mülheim hatte den 24-Jährigen im April 2014 freigesprochen. Die Anklage hatte ihm vorgeworfen, um den 16. Dezember 2012 herum dem Säugling einen Oberschenkel gebrochen zu haben. Der Angeklagte schob einen Badeunfall vor: Das nasse Kind sei ihm aus den Händen gerutscht. Gutachter waren aber sicher, dass dies nicht die Ursache gewesen sein könne: Um den flexiblen Kinderknochen zu brechen, sei eine massive „misshandlungstypische“ Gewaltanwendung nötig. Verurteilt wurde der 24-Jährige nur deshalb nicht, weil das Gericht am Ende nicht ausschließen konnte, dass auch dessen Ehefrau die Täterin gewesen sei.
Die Staatsanwaltschaft war gegen den Freispruch in die Berufung gezogen und forderte in zweiter Instanz eine Verurteilung des Angeklagten wegen aktiver Täterschaft. Schließlich sei niemand anders in der Wohnung gewesen, und der Angeklagte habe mehrfach geäußert, er könne sich seine Frau als Täterin nicht vorstellen. Die Jugendkammer des Landgerichts sah nach zweitägiger Verhandlung eine aktive Täterschaft nicht als erwiesen an. Aufgrund der eigenen Aussagen des Angeklagten ging die Kammer aber von einer Kindesmisshandlung durch Unterlassen aus.
Denn der 24-Jährige hatte berichtet, seine Frau sei mit der ungeplanten Schwangerschaft und Geburt überfordert gewesen, habe das Kind angeschrien. Was ihn nicht davon abhielt, vor den Problemen die Augen zu verschließen und seine Frau auch am mutmaßlichen Tattag, an dem der Tochter das Bein gebrochen wurde, allein mit dem Kind zu lassen. Das Gericht ging aufgrund des Umstandes, dass die Eltern schon in den Tagen zuvor unter fadenscheinigen Angaben einen Notarzt alarmiert und eine Kinderärztin aufgesucht hatten, davon aus, dass es auch zu diesem Zeitpunkt schon Misshandlungen gab und die Eltern massive Folgen befürchtet hatten.
„Genau wird sich das alles nicht aufklären lassen“, so der Vorsitzende. „Das Gericht ist in eine Dunkelkammer aus Schweigen und Falschbehauptungen geführt worden.“ Vielleicht habe der Angeklagte die Wahrheit verschleiert, um seine Ehefrau, die vor Gericht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machte, zu schützen. Die Mutter des Kindes, das inzwischen in einer Pflegefamilie lebt, werde sich nun wohl ebenfalls einem Strafverfahren stellen müssen, so das Gericht.
Im Urteil wendete die Kammer Jugendstrafrecht auf den zur Tatzeit noch nicht 21 Jahre alten Angeklagten an. Es sei nicht auszuschließen, dass er damals Reifeverzögerungen aufgewiesen habe, die durch eine Kindheit in zerrütteten Familienverhältnissen und frühe Erfahrungen mit Drogen und Alkohol verursacht worden seien. Zudem sei der Angeklagte durch die zivilrechtlichen Folgen bereits deutlich bestraft: Er muss die Krankenhauskosten für die Behandlung der Tochter tragen.