Mülheim. Ringlokschuppen stellt sich programmatisch den Herausforderungen der Zeit. Mehr Teilhabe durch Theater. Mitmach-Formate. Harte Zeiten für das Haus

Demokratie war gestern? Weil sich immer mehr Menschen außen vor sehen, kehren sie der Politik den Rücken, verweigern sich Wahlen und haben längst das Gefühl, nichts mehr ausrichten zu können. „Der Glaube an die Möglichkeit der Mitgestaltung, der Teilhabe ist Voraussetzung für jede Demokratie“, sagt Ringlokschuppenleiter Matthias Frense.

Experimentelle Formen

Mehr „Teilhabe“ sieht er als zentrale gesellschaftliche Herausforderung der Zukunft. „Und das war auch schon vor der sogenannten Flüchtlingskrise der Fall“, so Frense. Ein Thema, das auch inhaltliche Schwerpunkte im Ringlokschuppen 2016 und 2017 setzt. „Ich bin der Überzeugung, dass sich zeitgenössisches Theater und Kunst heute ins gesellschaftliche und politische Leben aktiv einmischen müssen.“ Das Theater sieht er als „wahrscheinlich den einzig gesellschaftlichen Ort, an dem Formen des Zusammenlebens experimentell ausprobiert werden können“.

Dazu zählt er die achtjährige Beschäftigung mit Brechts Fatzer-Fragment als Lehrstück, das in diesem Jahr u.a. mit Aufführungen aus dem japanischen Kyoto, vom Staatstheater Saarbrücken und mit einem Symposium untersucht werden soll, als eine der „theatralisch-gesellschaftlichen Versuchsanordnungen“. Die ziehen sich auf verschiedenen Ebenen durchs Programm: Durch Performances, die sich mit Fragen von sozialen Bewegungen, Machtverhältnissen und Utopien beschäftigen.

Menschen zum Mitgestalten zu bewegen

Mit Projekten auf der Bühne und im Stadtraum, bei denen individuelle und kollektive Beziehungsmuster ausprobiert werden, „um neue künstlerische und soziale Felder zu eröffnen“. Mit tanz- und theaterpädagogischen Mitmach-Projekten werden Bürger angesprochen, die sich auf der Bühne erproben können.

Wie bei der Applaus-Performance kürzlich oder beim kommenden Projekt im Stadtteil Styrum, wo die Macher von „Lone Twins“ mit einer Castingshow der besonderen Art auf die Straße gehen (in Kooperation mit dem Theater Oberhausen). Die Zusammenarbeit mit Gruppen und Künstlern aus der freien Szene soll fortgesetzt werden, darunter Vorschlag:Hammer, Andcompany & Co., Tanzkompanie KGI, wie auch die Kooperationen mit Theatern aus der Region, aber auch darüber hinaus wie mit der Volksbühne Berlin.

Bei Abenden im Ringlokschuppen und Außenterminen werden Künstler neue Wege gehen, um Begegnungen zu ermöglichen, Menschen zum Mitgestalten zu bewegen. „Theater ist der Ort in einer Gesellschaft, an dem die Dinge real und künstlich zugleich sind“, sagt Matthias Frense: „Die Utopien, die darin liegen, sind seine gesellschaftliche Kraft.“

Vermittlung und Organisation sind stabilisiert

Nicht nur als Antwort auf die gesellschaftliche Entwicklung war es wichtig, programmatisch die Stellschrauben zu justieren, sondern das diente auch der Standortbestimmung in der Kulturlandschaft. Noch immer hat das Haus harte Zeiten zu bewältigen. „Gut ein Jahr nach der Fast-Pleite befindet sich der Ringlokschuppen nach wie vor in einer fragilen Lage“, so Frense.

Die strukturelle Unterfinanzierung sei nur ansatzweise behoben. „Und die Abhängigkeit von Drittmitteln ist nach wie vor unverhältnismäßig hoch.“ Zudem würden ganz unterschiedliche Interessen und Wünsche seitens der Förderer und des Publikums an das Haus herangetragen.

Mit Kraftanstrengung, Rückenwind und verstärkter Unterstützung war es dem Team im vergangenen Jahr gelungen, „die Vermittlung und Organisation deutlich zu stabilisieren“, ist Frense zuversichtlich. Diese Zähigkeit ist für die Zukunft nur zu wünschen.