Mülheim.. Im Pastor-Jakobs-Haus müssen Flüchtlinge ihren Alltag selbst regeln. Viele ehrenamtlich engagierte Nachbarn unterstützen sie dabei.

Was passiert im Pastor-Jakobs-Haus am Kuhlendahl? Was machen die Menschen in ihren Zimmern hinter dem Schutzzaun? Wie sieht der Alltag der 85 Flüchtlinge aus, die ihr Leben selbst meistern müssen? Was regeln Betreuer, ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sowie Hausmeister? Die Redaktion hat einen Tag vor Ort erlebt.

7.00 Uhr: Die meisten Bewohner schlafen. Nur Eltern und ihre Kinder sind auf den Fluren unterwegs, um den Nachwuchs mit Frühstück zu versorgen und zum Unterricht zu schicken. Die meisten fahren zur Gesamtschule nach Saarn.

8.30 Uhr: Weitere Bewohner fahren oder gehen zum Deutschunterricht in die Stadt und zur VHS. Andere kochen Tee in der Gemeinschaftsküche. Eine Frau rennt mit einer Tüte voller Wäsche in den Keller. Junge Männer treffen sich auf dem Flur und unterhalten sich. Sonst stehen sie draußen, aber es regnet in Strömen.

10.30 Uhr: Mit einem Stapel Briefe ist Hausverwalter Ralf Jungblut unterwegs und verteilt sie. Er klopf an jede Tür: „Beim kurzen Blick in die Zimmer kann ich sehen, ob dort alles in Ordnung ist.“ Sonst ist hinter den nummerierten Türen alles total privat. Die Bewohner sind freundlich, bedanken sich für seinen Botendienst. Er kennt sie bereits alle.

11.00 Uhr: Mit einer Glocke läuft Marlies Schröder über die Etagen, ruft junge Leute zur Deutschstunde. „Da fehlt noch Tagesdisziplin“, weiß die im Ehrenamt Erfahrene. Mit Nora Bonn, früher Fremdsprachenlehrerin, gestaltet sie den Unterricht. Personalpronomen und die Bildung von Verben sind der Stoff für Umgangsformen. Mit Umlauten tun sich die Ausländer schwer. „Einige sind sehr fleißig und üben, andere brauchen länger“, sagen die engagierten Frauen. Die jungen Leute erhalten Wissen für weiterführende Kurse. Gleichzeitig geben zwei Ehrenamtliche im zweiten Kurs Starthilfen für Analphabeten.

12.00 Uhr: Nebenan öffnet Andrea Reuschel ihr Büro. Die Mitarbeiterin des Sozialdienstes für ausländische Flüchtlinge berät Bewohner, gibt Tipps, welche Stellen bei der Stadt für welche Belange zuständig sind. Sie spricht mit Zimmerpaten und Alltagsbegleitern, die sich dann intensiv um die Belange kümmern. Bei ihr schütten viele Bewohner ihr Herz aus „oder sie hoffen auf eine Wohnung, die wir so schnell nicht beschaffen können“, sagt Reuschel.

12.30 Uhr: In der Gemeinschaftsküche bereitet eine iranische Familie Essen zu. Mutter Nassim trägt den Topf über den Flur ins Zimmer. Ihre Tochter Sana, Sohn Mohammad, Cousine Hasti und ihr Bruder sitzen am Tisch. Während die Kinder Hausaufgaben machen, fährt die Mutter zum Deutschkurs in die Stadt. Die zwölfjährige Sana findet ihren Unterricht in der Gesamtschule Saarn blöd: „Da lerne ich zu wenig, weil kaum deutsche Kinder in meiner Klasse sind. Warum kann ich nicht mit denen lernen?“, vermisst sie nach vier Monaten klar die Integration.

14.00 Uhr: Die Tür zu Raum 9 öffnet sich. Die Bewohner begrüßen Werner Große. Der Pensionär und Netzwerker ist Zimmerpate, kümmert sich um die Anliegen seiner Schützlinge. Für den Brief von der Ausländerbehörde holt er Hilfe bei einem Alltagsbegleiter. „Wir sind zwei oder drei Paten pro Raum. Mehr als zehn Stunden im Monat sollte man nicht nehmen, sonst brennt man schnell aus“, weiß er. Es gibt bereits 80 Nachbarn, die sich im Pastor-Jakobs-Haus kümmern.

15.00 Uhr: Mit ihren Kleinen holen Lisa Riedel und Christina Zander alle Kinder ab, um mit ihnen zu spielen. Meistens sind sie draußen unterwegs. Bei Regen hat die internationale Malgruppe flott die Fenster eines Raumes mit Blumen und Herzen bemalt. Wasserfarben sind abwaschbar. „Die Kinder lernen Deutsch, unsere lernen andere Sprachen. Wir alle bauen Hemmungen ab“, sagt Zander. „Die Welt ist hier international. Meine Kinder und ich können viel lernen und vorleben“, fügt Riedel an. Ostereier aus buntem Papier, die alle gebastelt haben, schmücken jetzt die Wand.

16.30 Uhr: Die Bewohner kommen von ihren Kursen und vom Einkaufen zurück. In der Waschküche füllt die nächste Gruppe die Maschinen. Auf den Fluren wird es lauter. Eine junge Frau bittet den Hausmeister um den Schlüssel für die Dusche. „Das haben wir hier extra geregelt“, sagt er.

18.00 Uhr: „Das Haus ist toll. Aber ein Raum für meine Schwester, meine Mutter und mich ist zu eng. Kennen Sie keine bezahlbare kleine Wohnung?“, fragt Sayed Naweed Anwari auf Englisch. „Mein Deutsch ist noch nicht so gut.“ Sie können bestimmt helfen, schildert er seine Wünsche, die so bald nicht in Erfüllung gehen können.

19.00 Uhr: Drei verfolgte Christinnen aus China, Syrien und Eritrea teilen sich ein Zimmer. Sie lernen „in Kursen und auf der Straße Deutsch“. Sonst helfen Handzeichen.

Ehrenamtliche sind unersetzlich

Ehrenamtliche Unterstützung von Flüchtlingen ist unersetzbar. Wer solch eine Aufgabe übernehmen möchte, sollte sich vorher Gedanken über seinen Einsatz machen. Wer sich zu viele Stunden zumutet, wird vielleicht schnell überfordert sein. Es können auch emotionale Probleme auftreten, wenn der erhoffte Erfolg bei den betreuten Menschen nur langsam oder gar nicht eintritt. Was ist, wenn ein Flüchtling seinen Betreuer vereinnahmt oder der Betreute frustriert reagiert, weil seine Wünsche nicht erfüllbar sind? Für solche Fragen haben Mitstreiter des Netzwerkes rund um das Pastor-Jakobs-Haus einen Leitfaden erarbeitet. Dieser listet aber auch die Erfolgsmöglichkeiten einer Betreuung auf, welche Chancen sie zur eigenen Horizonterweiterung bietet. „Wie jemand die Sache angeht, muss jeder für sich selbst ausloten und entscheiden“, sagt Werner Große.