Als Gilberte Raymonde Driesen vor einigen Jahren ihre senegalesischen Heimat bereiste, fragte die Lehrerin Kinder auf der Straße ganz automatisch: „In welche Schule geht ihr? Seid ihr fleißig?“ Die verblüffende Antwort der Kinder: „Wir gehen nicht zur Schule. Hier gibt es keine Schule.“ Dabei herrscht auch im Senegal Schulpflicht bis zum 16. Lebensjahr und es wird auch kein Schulgeld erhoben. In dem westafrikanischen Land gilt das aber nur in der Theorie, denn in der dünn besiedelten Savanne sind Schulen rar und Kinder zudem oft als Arbeitskräfte wichtig, um die Lebensgrundlage der Familie zu sichern. So liegt die Analphabetenquote bei über 60 Prozent und bei Frauen sogar noch höher.
Für die 42-jährige Pädagogin, die seit acht Jahren in Mülheim lebt, war die Begegnung ein Schlüsselerlebnis, um aktiv zu werden. Sie wollte etwas zurückgeben, weil das Land auch viel für mich gemacht hat“, erzählt sie über ihre Motivation.
Aus dem gleichen Grund hält sie auch an ihrer senegalesischen Staatsangehörigkeit fest, die sie verlieren würde, wenn sie sich einbürgern ließe. Das hält sie aber nicht von einem ehrenamtlichen Engagement ab, so ist sie seit Jahren als zweite Sprecherin der Mülheimer Initiative für Toleranz aktiv und bietet ein interkulturelles Kochen an.
Sie kam auch nicht als Flüchtling nach Deutschland, sondern ihres Mannes wegen, mit dem sie zuvor Jahre lang eine Fernbeziehung geführt hatte. „Irgendwann mussten wir uns dann entscheiden.“ Da sie früher im Senegal als Gymnasiallehrerin arbeitete, hat sie noch gute Kontakte zur Schulbehörde, die sich ebenso kooperativ verhielt wie der Bürgermeister des Dorfes Windoutintioulaye, der ihr gleich zwei Hektar Land zur Verfügung stellt. Seitdem ist dort viel entstanden.
Koloniale Strukturen
In drei Klassen werden 84 Kinder von drei Pädagogen unterrichtet und wurde ein solarbetriebener Brunnen errichtet. Und auch ein Arzt schaut hier regelmäßig vorbei. Aber es gibt auch noch viel zu tun. Weitere Pavillons müssen errichtet werden, nach einem Zwischenfall mit einer Schlange und einem tollwütigen Hund ist es wichtig, das Gelände einzuzäunen. In Planung ist zudem eine Schulkantine, wo durch die Mithilfe der Mütter, täglich gekocht werden soll und das auch mit Nahrungsmitteln, die im Schulgarten angebaut werden. Ein Schulbus ist ein weiteres langfristiges Ziel.
Die Gründung eines Vereins, dem unter anderen Heiner und Ute Schmitz sowie Franziska Krumwiede-Steiner angehören, war da nur konsequent. Axatin heißt er, das ist das Wort für Bildung auf Sérère, einer der 26 Sprachen, die in dem 13 Millionen Einwohner zählenden Land neben der Amtssprache Französisch gesprochen wird. „Viele wollen lernen“, betont Driesen, man müsse ihnen dazu aber auch die Möglichkeit bieten. Ziel des Vereins ist es, den Aufbau der Schule voranzutreiben und durch Patenschaften Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen, zum anderen aber möchte der Verein informieren, um Klischees über Afrika abzubauen und eine Begegnung auf Augenhöhe zu ermöglichen. Auch Schulen möchte der Verein Partnerschaften und einen gegenseitigen Austausch ermöglichen.
Im Moment ist im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage immer die Rede davon, dass Fluchtursachen bekämpft werden sollen. Was damit gemeint ist, bleibt vage. „Es wäre schon gut,wenn die Politiker alles unterließen, was in Afrika die Entwicklung behindert“, sagt Driesen. Handel und Landwirtschaft spielt dabei eine Rolle. Wie sollen sich Menschen ernähren, wenn die EU durch subventionierte Produkte die lokalen Märkte kaputt macht, wenn sie beispielsweise ihre Tomaten nicht verkaufen können. Es gebe immer noch koloniale Strukturen, die auch nach über 50 Jahren Unabhängigkeit fortbestehen, kritisiert Driesen.