Mülheim. . Seit den Vorfällen in der Silvesternacht ist die Nachfrage nach Selbstverteidigungskursen auch in Mülheim stark gestiegen. Vereine erweitern Angebote.

Nach den Vorfällen in der Silvesternacht ist das Interesse an Selbstverteidigungskursen für Frauen enorm angestiegen. Das berichteten Sportvereine und Kampfkunstschulen aus dem Stadtgebiet auf Nachfrage.

„Wir haben in den letzten Wochen 30 Anfragen entgegengenommen. Das ist eine Menge“, sagt Jens Wilke, der an der Aktienstraße in Eppinghofen eine Kampfkunstschule leitet. Als Reaktion darauf hat der Kampfsportexperte zusätzliche Frauen-Selbstverteidigungskurse eingerichtet. In den Kursen wird neben der Abwehrtechnik auch die psychische Seite der Selbstverteidigung angesprochen. Dafür arbeitet die Kampfkunstschule mit einem Experten vom Landeskriminalamt zusammen. „Dabei geht es darum, dass man Gefahrensituationen erkennt und vermeidet. Auch verschiedene Täterprofile werden abgebildet“, erklärt Wilke, der solche Nachfrage-Explosionen in seinen 18 Berufsjahren schon häufiger erlebt hat. „Natürlich stellt man das fest, wenn zum Beispiel Missbrauchsfälle durch die Presse gehen. Diesmal ist das Interesse aber besonders stark“, schildert der Kampfsportschulleiter.

Achtwöchiges Programm

Einen ähnlichen Ansturm erlebt derzeit die Dao Wing Chun-Kampfkunstschule vom Deutsch-Thailänder Somchai Voigt. Bereits zehn Frauen haben dort das neu geschaffene Angebot eines achtwöchigen Selbstverteidigungsprogramms angenommen. Trainiert wird zweimal pro Woche. „Die Angst vor Übergriffen ist groß. Viele Teilnehmerinnen haben angegeben, dass sie zu den Karnevalstagen gewappnet sein möchten“, erzählt Voigt. Der Fachmann gibt aber zu bedenken, dass Fortschritte Zeit bräuchten. „Wir verfolgen die Lehre des Qi Gong. Danach wollen wir automatisch handeln, ohne vorher nachzudenken.“

Für Frank Weinert, Abteilungsleiter Kampfsport bei der Turngemeinde Mülheim birgt der Ansturm auf die Kurse ein nicht zu unterschätzendes Risiko: „Die Angebote schießen aus dem Boden. Die Trainer sind jedoch oft nicht ausreichend geschult“, warnt er. Zudem ist der Abteilungsleiter ein erklärter Gegner von Intensivkursen. „An einem Wochenende kann man noch nicht mal die Basis lernen“, sagt Weinert. In seiner Abteilung sind die Teilnehmerzahlen in der Selbstverteidigung konstant hoch. Derzeit trainieren bei der TG 40 Frauen in mehreren Gruppen.

Auch der Mülheimer Polizeisportverein bietet Selbstbehauptungskurse für Frauen, Mädchen und Jungen an, die ab dem 30. Januar starten. „Die Nachfrage ist groß“, weiß Polizeisprecher Marco Ueberbach und rät allen Frauen, die sich unsicher fühlen: „Lieber auf das Pfefferspray verzichten, dafür einen solchen Kurs belegen.“ Dort werde gezielt trainiert, so dass man in einer Gefahrensituation handlungsfähig bleibt.

Bereits 74 „Kleine Waffenscheine“

Immer mehr Mülheimer rüsten auf – nicht nur mit Pfefferspray, sondern auch mit Schreckschusspistolen. Aktuelle Zahlen aus dem Polizeipräsidium bestätigen diesen Trend: Seit Anfang Januar wurden in Essen schon 210 und in Mülheim 74 sogenannte „Kleine Waffenscheine“ beantragt. Zum Vergleich: In 2014 wurde dieser innerhalb von zwölf Monaten nur 109-mal ausgegeben.

Dabei rät die Polizei dringend davon ab, sich zu bewaffnen. „Wer ungeübt ist und in Panik gerät, kann sehr leicht entwaffnet werden“, sagt Marco Ueberbach. „Dann richtet sich die Waffe plötzlich gegen ihn selbst.“ Zudem können Schreckschusspistolen schwerste Verletzungen verursachen. Die Polizei rät vielmehr, in Verdachtsfällen immer den Notruf 110 zu wählen.