Alles fängt einmal klein an, auch das Tanztheater 55plus. Noch bevor die Premiere von „Vier. Alles hat seine Zeit“ startet, machen das Publikum und Tanz-Amateure gemeinsam Lockerungsübungen vor dem Ringlokschuppen. „Ziehen sie sich warm an“, empfiehlt man an der Kasse.

Und das ist nicht nur als Spaß gemeint, sondern schon der ungewöhnliche Einstieg in die anschließende Performance, die am Freitagabend Premiere feierte. Denn die „Übungen“ nehmen bereits einige Elemente der späteren Bühnenchoreographie vorweg: Die Hände der 16 Tänzerinnen ganz unterschiedlichen Alters recken sich zum Kelch geformt zum Himmel, Arme wirbeln eng um die einander umkreisenden Frauen. Aus isolierten, subtilen Gesten und großen Bewegungen auf der Bühne entsteht zwischen den Figuren allmählich ein Tanz, der Stimmungen von Enge und Weite erzeugt. Es sind Erfahrungen, die das Publikum über die Übungen zuvor nachvollziehen konnte. Seit mehreren Jahren entwickelt die Choreographin Nicole Elisabeth Schillinger Tanztheaterabende mit und für Menschen über 55 Jahre im Ringlokschuppen. Und wagt sich dabei an durchaus komplexe Themen.

Anfang 2015 thematisierte die Gruppe in „Teil von mir“ zum Beispiel das „Teilen“ von Raum, Außen- und Innenleben mit den Mitteln des Tanzes. Nicht weniger ambitioniert erscheint das neue Stück „Vier. Alles hat seine Zeit“, das zur Premiere übrigens nahezu ausverkauft war. Die Idee von Einschränkung und Handlungsmöglichkeit von Menschen unterschiedlichen Alters wird in immer neuen Bildern inszeniert. Weitestgehend verzichten die Tänzerinnen auf Requisite zugunsten eines aufs Wesentliche reduzierten Bühnenbilds, das gemeinsam mit der bildenden Künstlerin Brigitte Stüwe entworfen wurde. Ein paar zu Figuren gestaltete Brettskulpturen, ein Bild, das auf der Bühne selbst kreiert wird, sind schon ausreichend, um damit auf die verschiedenen Lebensbedingungen von Menschen unterschiedlichen Alters einzugehen: Wildes Violinenstakkato unterstreicht dazu das hektische Treiben der vielen Akteure auf der Bühne, dann wieder wechselt das Stück zu harmonischen Augenblicken, in denen die Tänzerinnen – jede für sich und dennoch als gemeinsam schwingender Körper – etwa die wechselnde Pinselbewegungen einer Malerin imitieren.

Dass Schillinger die Akteure diesmal mit jungen Performerinnen aus einer weiteren Gruppe mit dem Namen 18plus kombiniert hat, bringt den Grundgedanken noch deutlicher hervor. Nach einer guten Stunde ist das Stück beendet: Kurz und knackig könnte man sagen. Ganz anders hingegen der Applaus des Publikums für die ambitionierte Performance „Vier. Alles hat seine Zeit“: Er fällt lang und offenkundig begeistert aus.