Mülheim.. Ein Gespräch mit Martina Wilinski, Leiterin des Kommunalen Sozialen Dienstes in Mülheim, über ihren Beruf, über Schutzmaßnahmen und Freiwilligkeit.
18 Tage ist es nun her, dass ein kleiner Säugling durch Kindesmisshandlung seinen Verletzungen erlag. Denn das drei Monate alte Mädchen wurde schwer misshandelt. Die Folge: Schädelhirntrauma. Ein Fall der erneut Fragen aufwirft.Hätte dies verhindert werden können? Gibt es überhaupt adäquate Hilfen? Und ist Mülheim gut aufgestellt? Die NRZ hat bei Martina Wilinski (Leiterin des Kommunalen Sozialen Dienstes) nachgefragt:
Frau Wilinski, Sie besitzen nun mehr als zwei Jahrzehnte Berufserfahrung. Hätte man den Tod des kleinen Mädchens verhindern können? Was sagen Ihnen Ihre Erfahrungen?
Martina Wilinski: Die Antwort ist so komplex wie die Arbeit mit Familien und schutzbedürftigen Kindern. Der Fall ist tragisch Aber, ob sich der Tod hätte verhindern lassen, bleibt fraglich. Es ist die Arbeit mit Menschen in einem thematisch sensiblen Umfeld.
Oft gibt es nicht nur ein Problem, sondern gleich eine ganze Bandbreite – von psychosomatischen, über finanzielle bis hin zu häuslichen. Deshalb haben wir hier in Mülheim über die Jahre ein engmaschiges Netz an Soforthilfen, Fachexperten und Institutionen aufgebaut. Wir setzen besonders an den Knotenpunkten an. Doch Betreuung und Hilfe rund um die Uhr ist kaum leistbar.
Gibt es dann überhaupt einen verlässlichen Schutz?
Wilinski: Das Arbeiten im Kinderschutz ist immer ein schmaler Grat und erfordert Berufserfahrung und das nötige Maß an Sensibilität. Deshalb ist es so wichtig, dass Menschen mit langjährigem Wissen im Außendienst arbeiten. Ihr breites Wissen und der Erfahrungsschatz sind unser Garant. Meist erkennen diese recht schnell, wo geholfen werden muss und welche Maßnahme erforderlich ist, damit ein Kind gar nicht erst in Gefahr gerät. Wir setzen auf Prävention.
Wie engmaschig arbeitet die Stadt Mülheim?
Wilinski: Unser Fokus liegt auf Kindergärten, -tagesstätten und Schulen. Ich sprach eben schon einmal von Knotenpunkten. Vor allem Kinderärzte sind durch die anstehenden Vorsorgeuntersuchungen ständig in Kontakt mit Kindern. Stellen sie etwas in den Untersuchungen fest oder kommt das Kind erst gar nicht zur Untersuchung, wird dies automatisch an uns weitergeleitet. Dann müssen wir schnell reagieren und hinterfragen, um was es sich dabei handelt. Hebammen, soziale Einrichtungen und nicht zuletzt unsere Stadt sehen sich in der Verantwortung.
Wo liegt denn dann das tatsächliche Problem?
Wilinski: In der Freiwilligkeit, sich Hilfe als überforderte Eltern zu holen. Gesetzlich bleibt es eben nur eine Verordnung, sich bei uns in Notsituationen zu melden. Viele Problemfamilien wissen entweder gar nicht, dass wir ihnen eine verlässliche Stütze sein können. Und manchmal kommt dann jede Hilfe zu spät. Andererseits kann man die Gesetzeslage kaum ändern. Denn würde die Verordnung zum Gesetz, wären plötzlich Stadt und Staat die Erziehungsberechtigten. Dies gelte dann für alle Familien – auch für diese, die gar keine Hilfe nötig haben. Kaum ein adäquates Mittel, um gefährdete Kinder im Raster zu erkennen.
Ist das Amt personell gut aufgestellt in dem Bereich?
Wilinski: Es geht immer noch mehr. Gerade jetzt, wo wir auch Flüchtlingskinder, die allein ohne Erziehungsberechtigte hierhergekommen sind, mitbetreuen und versorgen müssen. Wir haben deshalb vier weitere Stellen beantragt. Die Stadt gibt uns allerdings Hilfe, wo sie kann. 2012 haben wir gleich zehn neue Mitarbeiter bekommen. Wir hoffen auf mehr.
Was würde Ihnen die Arbeit erleichtern?
Wilinski: Wir wünschen uns, dass mehr Eltern sich sofort Hilfe suchen, wenn sie sich überfordert fühlen und nicht mehr weiterwissen. Dies ist keine Schande, sondern zum Wohle des Kindes. Was uns jetzt schon die Arbeit erleichtert, ist eine engmaschige Dokumentation aller Fälle. Vom Arzt bis zum Amt. Nur darüber können wir adäquat reagieren, den individuellen Fall richtig einschätzen und die erforderliche Maßnahme in die Wege leiten.
Welche Maßnahmen sind das?
Wilinski: Von Hilfestellung im Alltag bis zur Inobhutnahme, aus der Familie raus, geht alles. Unser Augenmerk wird dabei aber immer aufs Kind gelenkt und die Fragestellung: Wie viel Veränderung kann ein Kind ertragen? Denn es darf nicht noch mehr überfordert werden.