Ein Foto sagt bekanntermaßen mehr als viele Worte. Also hat Kirsten Wennemers einen Briefumschlag voller Bilder zum Gespräch mitgebracht. Alle zeigen möchte sie dann aber doch nicht. „Auf dem sehen wir so geschafft aus“, sagt sie und steckt das Foto gleich wieder ein. Dabei sprechen auch die müden Gesichter Bände und erzählen von acht anstrengenden, aber auch acht anregenden Stunden.
An jedem Heiligen Abend lädt ein Team bestehend aus Haupt- und Ehrenamtlichen Alleinstehende ins CVJM-Haus in der Mülheimer Altstadt ein, um gemeinsam Weihnachten zu feiern. Rund 150 Menschen, die sonst alleine daheim wären oder die gar kein Zuhause haben, werden so verköstigt und unterhalten.
Asiatisches Festtagsmenü
Die Frage nach dem Festessen ist ja bei den vorweihnachtlichen Planungen stets eine essenzielle. Die Antwort aus der Altstadt jedoch überrascht: Wok-Gemüse mit Reis und Hähnchen wird im CVJM-Haus Heiligabend serviert. Kirsten Wennemers, die die Weihnachtsfeier bereits seit rund 15 Jahren federführend und ehrenamtlich organisiert, hat das Essen schon vor Wochen bestellt. „Wir hatten das vor einigen Jahren schon mal, und wegen des frischen Gemüses kam es sehr gut an.“ Im Gegensatz zum Rotkohl, der im vergangenen Jahr aufgetischt wurde. Auch das Dessert – abgepackter Pudding – lässt zunächst stutzen, ist aber wohl durchdacht: „So können die Gäste den Nachtisch einpacken und zu Hause essen. Einige nehmen lieber mehrmals vom Hauptgericht.“
Schon die Gestaltung des Weihnachtsmenüs unterstreicht die Gedanken, die Kirsten Wennemers sich bei der Planung macht, die Dinge, die sie berücksichtigen muss. Vieles hat sich eingespielt, nach über einem Jahrzehnt hat sie reichlich Erfahrungen gemacht. Und doch bleibt es stets ein Kraftakt, den sie gerne übernimmt.
Sie fühlt sich der Tradition der Veranstaltung verpflichtet, die für sie und ihre Mitstreiter den weihnachtlichen, ja christlichen Werten entspricht. „Diese Menschen sind meine Nächsten. Sie sind meine Brüdern und Schwestern und von Jesus angenommen“, sagt Kirsten Wennemers: „Das ist wirklich Weihnachten“.
Rund 30 Ehrenamtliche
Heiligabend im CVJM-Haus beginnt für sie und ihren Mann gegen 16 Uhr. Dann fahren beide zur Teinerstraße und bereiten den Abend gemeinsam mit dem Team vor. Neben drei Hauptamtlichen vom CVJM (in diesem Jahr werden auch eine Praktikantin und eine FSJlerin im Einsatz sein) sind stets um die 30 Ehrenamtliche dabei. Einige helfen seit vielen Jahren. Kirsten Wennemers erzählt etwa von einem Herrn, der eigentlich inzwischen in Süddeutschland wohnt, aber dennoch jedes Jahr nach Mülheim kommt und an Heiligabend die Küche schmeißt. „Er hat alles im Griff. Er weiß, wann er Kaffeewasser aufsetzen muss und was sonst alles zu beachten ist.“ Gerade ein solcher Erfahrungsschatz sei wichtig, denn es sind in jedem Jahr neue Helfer dabei, die angeleitet werden müssen.
Die Aufgaben, die sie übernehmen, sind vielfältig. Sie decken den Tisch und räumen ihn wieder ab, sie nehmen die Garderobe an und geben das Essen aus. Das klingt einfach, doch liegt die Tücke oft im Detail: Rund 150 Gäste kommen, da muss die Ausgabe zügig laufen, damit auch alle warmes Essen bekommen. Und die Helfer an der Garderobe müssen Feingefühl beweisen und laut Kirsten Wennemers „vertrauenswürdig aussehen“, denn: „Einige der Menschen, die zu uns kommen, geben ihren Mantel ab und damit ihre ganze Habe.“
Die Ehrenamtlichen wissen das, denn immer wieder suchen sie das Gespräch mit den Menschen, hören sich ihre Lebensgeschichten an. Schicksale, die oftmals voller Ecken und Kanten sind. Wer nichts erzählen will, muss das aber auch nicht. Und wenn Ehrenamtliche lieber spülen als sprechen, ist das auch in Ordnung. Jeder bringt sich so ein, wie er möchte.
Eine Verpflichtung aber gibt es dann doch: Alle Gäste müssen sich an die CVJM-Hausordnung halten: Alkohol ist tabu, Rauchen nur in einem gesondertem Raum erlaubt.
Inzwischen fahren Kirsten Wennemers und ihr Mann alleine in die Altstadt. Früher haben die zwei Söhne mitgefeiert. Der Jüngere setzte sich da beispielsweise stets ans Klavier und spielte Weihnachtslieder. Denn ein solches weihnachtliches Programm gehört dazu: Gemeinsames Singen und ein Krippenspiel, das von Ehrenamtlichen organisiert wird, sind bereits seit der ersten CVJM-Feier 1946 Tradition. „Alle Gäste sind eingeladen, etwas beizutragen“, sagt Kirsten Wennemers. Besinnlich wird es da trotz der Größe der Feier. Wenn 150 Menschen gemeinsam „Stille Nacht“ singen, seien das bewegende Momente.
Im vergangenen Jahr sind gar noch mehr Gäste gekommen. Zusätzliche Tische im Nebenraum wurden da spontan gedeckt, das Essen gestreckt, dennoch war nicht für alle Menschen Platz. Letztlich feierten im vergangenen Jahr viele Familien mit, samt Säuglingen und kleinen Kindern, die im CVJM-Spielekeller tobten. Deshalb haben die Organisatoren entschieden, in diesem Jahr erstmals mit Eintrittskarten zu arbeiten und sich wieder auf ihre Hauptzielgruppe zu konzentrieren. „Wir mussten 2014 Menschen abweisen“, sagt Frank Held, Leitender Sekretär des CVJM, und zieht die Parallele zur Weihnachtsgeschichte, zur überfüllten Herberge, und nennt das für eine christliche Einrichtung an diesem so christlichen Fest „paradox. Das möchten wir vermeiden.“
Familien, sagt auch Kirsten Wennemers, können den Heiligabend für sich gemeinsam gestalten. Frank Held betont: „Unsere Feier richtet sich an Alleinstehende – und da ist es egal, ob es alleinstehende Wohnungslose sind, alleinstehende Senioren, alleinstehende Flüchtlinge oder alleinerziehende Mütter, die sonst niemandem haben.“