Wie sich Flüchtlinge in Deutschland fühlen, kann Roberto Ciulli nachempfinden. Er selber hatte mit 26 Jahren erfolgreich das Zelttheater Il Globo in Mailand gegründet, überlebte als junger Mann knapp einen Herzinfarkt und machte dann einen radikalen Lebens-Einschnitt: 1965 ging er nach Deutschland, wo er zunächst als Fabrikarbeiter und Fernfahrer anfing. Sein künstlerischer Weg begann als Beleuchter und Regieassistent in Göttingen, führte über Köln als Schauspieldirektor nach Mülheim, wo er 1980 Mitbegründer des Theater an der Ruhr war. Über seine persönliche „Theater-Reise“ spricht der 81-Jährige im Interview.

Was war der Auslöser, Mailand zu verlassen und nach Deutschland zu gehen?

Wenn man mit 29 Jahren einen Herzinfarkt bekommt und schon für tot erklärt war, dann stellt man sich Fragen. Ich komme aus einer großbürgerlichen Familie und einer Stadt des Geldes. Da habe ich mich gefragt: Ist dies wirklich dein Ort, deine Heimat? Ich fand diese Stadt damals unerträglich – die Gesellschaft, meine Familie. Mit dieser Welt hatte ich nichts am Hut. Als Kind wollte ich Missionar werden. Ich habe Philosophie studiert, ich hatte ganz andere Ideale, wollte sogar ein Hospital in Afrika gründen. Nach meiner Genesung bin ich ein Jahr lang gereist. Meine politische Gesinnung war – noch vor der 68er Bewegung – die Linke, die kommunistische Partei und die Arbeiterbewegung. Da habe ich mich entschieden: Ich gehe nach Deutschland.

Wie war der Anfang in einem fremden Land?

In Deutschland habe ich zunächst als Gastarbeiter bei Bosch gearbeitet. Da fiel dann der Name Chentrens weg, ich hieß fortan Roberto Ciulli, um diesen Duft von Großbürgertum mit zwei Namen, Roberto Ciulli Chentrens aus dem französischen Savoyen, loszuwerden. Ich wollte einen kompletten Neuanfang. Natürlich hatte ich als Gastarbeiter einen privilegierten Status, ich hatte schließlich schon in Italien ein Theater gegründet und war Doktor der Philosophie.

Als Arbeiter anzufangen, war also eine bewusste Entscheidung?

Ja, einerseits wollte ich als einfacher Arbeiter anfangen, anderseits konnte ich auch die Sprache nicht. Ich hatte auch nicht vor, die Theaterlaufbahn einzuschlagen. Ich wollte mein eigenes Geld verdienen. Bei Bosch zu arbeiten, das war auch eine politische Entscheidung. Nachts schrieb ich an einem Roman. In dieser Zeit dachte ich, ich werde Schriftsteller.