Es waren ziemlich politisierte Zeiten als die Schüler Union 1972 gegründet worden ist. Linke und Konservative standen sich als erbitterte politische Gegner gegenüber, auch auf den Schulhöfen. Jede Seite wollte ihre Anhänger mobilisieren und so gründete auch die CDU damals eine eigene Schülerorganisation. Heute, Jahrzehnte später, scheint die Ideologie, sei es von links, sei es von rechts, aus dem Klassenzimmer weitestgehend verschwunden zu sein. Bedeutet das aber auch automatisch, dass Jugendliche heute kein Interesse an Politik haben. Die aktuelle Shell-Jugendstudie zeigt, dass es wohl nicht so ist (siehe Kasten).
Die Mülheimer Schüler Union jedenfalls hat sich in dieser Woche neugegründet. Elf Mitglieder sind bereits aktiv, vier davon im Vorstand. Die Wurzeln dafür wurden im Jugendstadtrat gelegt. Der Vorsitzende Jörg Deters sitzt in dem Gremium und auch drei andere seiner Mitstreiter sind dort aktiv. Bei ihren Debatten dort haben sie gemerkt, dass sie politisch auf einer Wellenlänge liegen. So ist der Entschluss zustande gekommen, die Schüler Union, die einige Zeit in Mülheim nicht mehr bestanden hatte, wiederzubeleben. Dass so ein politischer Impuls vom Jugendstadtrat ausgeht, hätte vor einigen Wochen kaum ein Beobachter geahnt. Schließlich war die Wahlbeteiligung äußerst gering gewesen: 7,7 Prozent. Ein Grund dafür sicherlich auch: In den zurückliegenden Perioden war das Gremium nicht gerade dadurch aufgefallen , sich besonders intensiv in die politische Diskussion einzumischen. Schwerpunkte lagen eher darin Veranstaltungen für Jugendliche zu organisieren. „Das war eine Art MST für junge Leute“, sagt Filip Fischer. Der 18-Jährige, der jetzt dem Gremium vorsteht, hatte deswegen ursprünglich auch gar keine Lust für den Jugendstadtrat zu kandidieren. „Ich dachte, dass ist mehr so was zur Kinderbespaßung.“
Fischer hat seine Meinung geändert, nicht nur weil er jetzt Sprecher ist, sondern weil nun tatsächlich mehr politisch diskutiert wird. Er, der bei den Jusos aktiv ist, begrüßt deswegen auch, dass sich nun die Schüler Union neugegründet hat und verspricht, dass sich bei der SPD auch bald eine Schülerorganisation bilde. Fischer findet es gut, dass junge Leute sich überhaupt dauerhaft an Parteien binden wollen. „Für einzelne Themen lassen sich junge Leute schon begeistern, aber sich verbindlich an eine Partei zu binden, da schrecken doch die meisten vor zurück“, so die Erfahrung des angehenden Abiturienten, der auch Schulsprecher der Gesamtschule Saarn ist.
Jörg Deters, der neue SU-Vorsitzende, findet es auch gut, dass im Jugendstadtrat nun auch parteipolitische Profile zu erkennen sind. „Bisher war ja vor allem die Juso-Gruppe sehr stark, aber jetzt gibt es auch ein christdemokratisches Gegengewicht.“ Für die Diskussionskultur ein gutes Zeichen, wie er meint. Vor einigen Wochen konnte sich der 16-Jährige, der die Otto-Pankok-Schule besucht, auch ein eigenes Bild vom professionellen Parlamentarismus machen. Auf Einladung von Astrid Timmermann-Fechter war er vier Tage lang im Rahmen der Aktion „Jugend im Parlament“ im Bundestag zu Gast und konnte die Abgeordneten in ihrem Arbeitsalltag beobachten. Auch eine Perspektive für ihn? Dazu will er jetzt noch nicht sagen, interessant sei es aber schon gewesen.
Trotzdem ist aber im Jugendstadtrat doch manches anders als im Parlament. Auch wenn sich nun Fraktionen bilden, so ist doch die Diskussionskultur eine andere. Das ist zumindest der Eindruck von Filip Fischer: „Es wird sachlicher diskutiert, auch über Parteigrenzen hinweg.“ Man fühle sich verbunden, ohne dass gleichzeitig eine Art Zwangsharmonisierung herrsche, die jede Freude am leidenschaftlichen politischen Streit ersticke. Fischer findet dieses Debattenklima angenehm. Und er hofft, dass seine Generation diese Grundhaltung nicht verlieren wird, auch dann nicht, wenn sie später tatsächlich mal im Rat der Stadt sitzen sollte.