Mülheim. . Die Klageschrift des Landes zur Auflösung der Flughafengesellschaft erhebt den Vorwurf, die Stadtspitze habe ein Ausstiegsszenario unterdrückt. Der BHM-Chef sieht keinen Skandal.

Die Eskalation im Streit der Flughafen-Gesellschafter – die Städte Mülheim und Essen auf der einen, das Land NRW auf der anderen Seite – bringt noch mal explosive Fragen ans Tageslicht. Etwa diese: Hat die Stadtspitze dem Stadtrat die Auflösung der Flughafengesellschaft FEM als Option für einen vorzeitigen Ausstieg bewusst vorenthalten?

Die Emotionen kochen wieder hoch nach der Ratssitzung in der Vorwoche. Die Flughafen-Gegner, allen voran das Netzwerk gegen Fluglärm und die Grünen, sind hellhörig geworden aufgrund einer Aussage in jener Klageschrift, mit der das Land gerichtlich und rückwirkend zum 31. Dezember 2014 seinen Ausstieg aus der FEM erzwingen und die Gesellschaft auflösen will. In der Klageschrift, die dieser Zeitung vorliegt, heißt es, dass eben diese Auflösung der Gesellschaft von Gutachtern als Option für einen zügigen Flughafen-Ausstieg geprüft worden war, diese Variante „auf Wunsch der Stadt Mülheim“ aber keinen Eingang in jenes Gutachten von Lenz und Johlen gefunden habe. Mehr noch: Die Stadt habe das Prüfergebnis auch dem Stadtrat vorenthalten.

Grüne: Ist das demokratische Verständnis der Stadt zu hinterfragen?

Die Grünen zeigen sich empört. Entweder, so Ratsfrau Eva Weber, leiste sich NRW-Verkehrsminister Michael Groschek in der Klage „schamlose Verdreher“ oder es sei „das demokratische Verständnis der Mülheimer Stadtspitze zu hinterfragen“. Die Klageschrift offenbart laut Weber „einen Sumpf aus Missachtung von Ratsbeschlüssen, beharrlichem Blockieren und Bevormundung des Rates“. Die Stadtspitze habe der Politik mit der Streichung im Gutachten einen Weg zum Flughafen-Ausstieg vorenthalten.

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Hendrik Dönnebrink, Chef der Beteiligungsholding, konterte die scharfe Kritik am Dienstag auf Anfrage. Er verwies darauf, dass im Auftrag für Lenz und Johlen klar formuliert ist, dass sich das Gutachten „an der Interessenlage aller drei Gesellschafter“ zu orientieren hatte. Diese Formulierung findet sich tatsächlich im Gutachten wieder, das dieser Zeitung ebenfalls vorliegt.

Dönnebrink wiederholt sich, warum eben jene Auflösung der FEM nicht im Interesse der Stadt sein könne: „Eine Auflösung wäre in höchstem Maße verantwortungslos gegenüber den am Flughafen ansässigen Unternehmen mit den verbundenen Arbeitsplätzen und den Mitarbeitern der FEM gewesen“. Die Gutachter selbst stellen zu dem Szenario der Auflösungsklage fest, dass die Stadt in diesem Fall ganz alleine mit dem Problem dastehe, wie sie ihren rechtlichen Verpflichtungen insbesondere bis 2034 gegenüber dem Aero-Club nachkommen könnte, wenn die FEM dem Club jene zugesicherten, kostenaufwändigen Leistungen nicht mehr stelle.

Dönnebrink verdeutlichte noch einmal seinen Standpunkt, dass der Versuch des Landes nicht zu akzeptieren sei, Mülheim durch eine mögliche Auflösung der FEM mit allen finanziellen und rechtlichen Problemen alleine zu lassen.

Land: Alle profitieren, nur wir nicht 

Das Land NRW prangert in seiner Klage zur Auflösung der Flughafengesellschaft seine Mitgesellschafter, die Städte Mülheim und Essen, aufs Schärfste an. Beide würden Veränderungen des niemals mehr profitabel zu führenden Flughafens komplett blockieren – dies geschehe aus finanziellen Eigeninteressen der Städte, die nichts mit dem Flughafenbetrieb der gemeinsamen Gesellschaft zu tun hätten.

Stadt wird als große Profiteurin dargestellt

Stimmen die Aussagen, die das Land in seiner Klagebegründung trifft, müsste der Mülheimer Ausstiegsbeschluss von CDU, MBI und Grünen ins Reich von Schilda verortet werden. So heißt es darin etwa, dass Essen und vor allem Mülheim in Summe Profiteure des Flughafenbetriebes seien, einzig das Land zahle Jahr für Jahr drauf. So täte der Stadt Mülheim ihr Defizit-Anteil von zuletzt knapp 170.000 Euro gar nicht weh, argumentiert das Land. Dem gegenüber stünden etwa – „zumindest bis zum Jahr 2013“ – 3 Millionen Euro allein aus dem Gewerbesteuerertrag der Firma WDL. Seit 2011 kassiere die Stadt auch ganz alleine die Pachteinnahmen aus dem Vertrag mit der WDL. Für das Land sei nicht hinnehmbar, warum es im Saldo aller Erträge als einziger Gesellschafter – und das seit 1996 schon – Geld zum Flughafenbetrieb zuschustern müsse.

Woher das Land die dem Steuergeheimnis unterworfene Zahl von 3 Millionen Euro hat, bleibt unklar. Die Stadt Mülheim äußert sich offiziell nicht dazu. Aus informierten Kreisen ist aber zu hören, dass die Zeiten, in denen die WDL eine sprudelnde Steuerquelle und laut Land sechststärkster Gewerbesteuerzahler in Mülheim war, längst vorbei sind. Indiz dafür könnten die zuletzt veröffentlichten Jahresabschlüsse sein. Auch SPD-Fraktionschef Dieter Wiechering zweifelt diese Zahlen an und fordert das Land auf, ihre Klage allein auf Fakten zu stützen.

SPD-Fraktionschef: Keiner beim Land denkt an die 200 Arbeitsplätze

Wiechering äußert wie BHM-Chef Hendrik Dönnebrink große Sorge, was ein ungeordneter Ausstieg aus dem Flughafengeschäft für Folgen haben könnte. „200 Arbeitsplätze am Flughafen sind in Gefahr, aber darum kümmert sich beim Land niemand“, sagt er. Steige das Land nun aus und provoziere das vorzeitige Aus, bliebe Mülheim alleine auf den erheblichen Lasten der Flächenaufbereitung und der Vertragspflichten gegenüber WDL und Aero-Club sitzen.

Auch Dönnebrink ruft in Erinnerung, dass das letzte Gutachten von Lenz und Johlen lediglich die juristische Seite eines möglichen Ausstiegs beleuchte, keineswegs aber die ökonomisch gravierenden Folgen für die Stadt aufzeige.

Gar nicht klar ist etwa, mit welchen Schadenersatzansprüchen WDL und Aero-Club die Stadt konfrontieren könnten, wenn ihre Vertragsansprüche bei einem vorzeitigen Ausstieg nicht länger erfüllt werden. Unternehmen und Verein haben dazu noch keine Zahlen präsentiert. Das werden sie auch nicht, so Frank Peylo von der neuen Initiative „Wir am Flughafen“. Er sagt: „Wir gehen weiter davon aus, dass sich alle Beteiligten an die Verträge halten.“