Der Kirchenchor, in dem sie singen, nennt sie scherzhaft „Die Drei von der Tankstelle“. Eigentlich wäre der Name „Die Drei von der Pferdewechselstation“ passender, denn zwei der drei Frauen haben ihre Kindheit da verbracht, wo früher Treidelpferde im Gewölbekeller ein- und ausgespannt wurden; und die dritte wohnt heute dort. Die Schwestern Ilsedore Clausnitzer und Anke Tschirch, geborene Stallberg, besuchen ihre Schwägerin Ingrid Stallberg (66), die an der Mendener Straße 34 im historischen Haus der Eltern mit ihrer Tochter und deren Freund lebt.

Anfang des 19. Jahrhunderts haben hier am Leinpfad die Schiffer mit ihren Aaken gehalten und im Keller des Hauses ihre Pferde, die sie an langen Leinen mit dem Schiff verbunden hatten, gegen „frische“ ausgetauscht. Heute nutzt Ingrid Stallberg (66) den ehemaligen Stall als Partykeller. Ob es ein Stallberg war, der die Treidelpferde versorgte, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen. Ihre beiden Schwägerinnen wissen genau: „Der Großvater war es nicht. Vielleicht der Ur-Opa?“ Rein rechnerisch könnte sogar der Ur-Ur-Opa der Betreiber der Station gewesen sein.

Das Haus ist etwa 30 Jahre nach dem Bau von einem Stallberg gekauft worden. Ingrid hat in alten Unterlagen keine Namen und Jahreszahlen mehr gefunden. Und so verliert sich die Spur…

Alte Gerätschaften an der Wand

In einem für die Mülheimer Schifffahrt wichtigen Haus zu wohnen, macht Ingrid Stallberg sichtlich Spaß. Sie zeigt gern die noch vorhandenen Relikte und Spuren aus der Vergangenheit. „Dass im Keller mal Pferde standen, kann man noch an den hohen Decken und an der breiten Doppeltür erkennen. Das war damals nicht üblich“, erklärt sie. „Es gab mehrere Pferdewechselstationen entlang der Ruhr bei den Bauernhöfen.“

Auch die alten Gerätschaften an der Wand zeugen von der ehemaligen Pferdewechselstation. Da gibt es neben zwei Wagenrädern ein auch für Pferdehälse schweres Kummet, das heute als Spiegel dient, ein steinhart gewordener Ledergurt und das unvermeidliche Hufeisen, das vielleicht vor 150 Jahren vom Pferdefuß fiel.

Seit 1986 unter Denkmalschutz

An einem kleinen Sitzplatz mit Tisch in einer Mauernische erzählen die drei Frauen, was es mit dem Loch in der runden Decke auf sich hat: „Wir sitzen quasi im Gänsestall. Durch das Loch wurde vom Wohnhaus das Futter runtergeworfen.“ Hier essen heute die Partygäste den Kartoffelsalat.

Ingrid Stallberg fühlte sich von Anfang an wohl in diesem alten Haus und der wunderschönen Umgebung direkt an der Ruhr.1988 zog sie mit ihrem Mann Wilfried Stallberg in sein Elternhaus. Vorher haben sie viel umgebaut und das Fachwerk freigelegt. „Es war ursprünglich geplant, das Haus abzureißen. Dann wurde es um 1986 unter Denkmalschutz gestellt. Das war uns erst gar nicht so recht, aber der Vater hat sich sehr gefreut. Der Grund für den Denkmalschutz war übrigens nicht die Pferdewechselstation, sondern weil es außen verziegelt ist und innen das Fachwerk hat.“
In der gemütlichen Küche mit vielen Fachwerkbalken und „Durchblick“ zum Wohnzimmer erinnern die drei Frauen sich an früher: „Weißt Du noch, wie meine Puppe mal im Plumpsklo ertrunken ist?“ Ilsedore und Anke (70 und 69) haben das ländliche Mülheim als Kinder noch erlebt, in den 50er Jahren. „Unser Grundstück ging bis runter zum Leinpfad. Wir haben auf den Wiesen den ganzen Tag mit den vielen Nachbarskindern gespielt. Wo früher die Pferde standen, da waren Paddelboote untergestellt. Sonntags war Hochbetrieb bei uns. Dann kamen die Eigentümer und holten für Ausflüge ihre Boote raus. Auch der Eismann hatte seine Karre bei uns stehen. Wenn der sie sonntags rausholte, da fiel für uns immer ein Eis ab.“

Gefragt nach dem schönsten Platz im Haus sagt Ingrid Stallberg: „Die Haustür! Das ist noch die Ursprungstür, sie ist oben und unten zu öffnen. Noch heute wienert sie allwöchentlich den Messingknopf blank, wie schon viele Frauen vor ihr. Und die nächste Generation wohnt auch schon oben im alten Haus an der Ruhr, das einst eine Pferdewechselstation war.