Wenn ein Wissenschaftler von Harvard nach Mülheim wechselt, denkt man spontan an einen Abstieg. Diesen Eindruck zerstreut Tobias Ritter, neuer Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, aber ganz schnell. Tatsächlich spiegelt sich in diesem Wechsel wider, in welcher wissenschaftlichen Klasse sich Mülheim bewegt, ohne dass davon groß Aufhebens gemacht würde.
Lange wurde Ritter von der Max-Planck-Gesellschaft umworben, bis er schließlich zusagte. „Das Institut hat weltweit einen exzellenten Ruf“, sagt der 40-jährige Professor und lobt die Einrichtung der Labore, die alle Erwartungen übertroffen hätten. „Es gibt nicht viel, was einen aus Harvard weglocken kann“, sagt er, „aber die Max-Planck-Gesellschaft mit ihren Mitteln und Möglichkeiten ist eben einmalig.“ Wenn an ein Institut für Grundlagenforschung ein neuer Direktor kommt, ist das eine Zäsur, aber es ist auch ein längerer Prozess. Der Professor hat noch Verpflichtungen an seiner alten Wirkungsstätte, muss Projekte zu Ende führen, Doktoranden betreuen und vieles mehr. So gibt es keinen nahtlosen Übergang. Und so ein Direktor kommt selten allein. Ritter bringt bereits zehn junge Forscher von der Eliteuniversität mit und das international besetzte Team wird noch weiter wachsen. Die Flourchemie ist Ritters Thema, besonders beschäftigt er sich mit Methoden, um die medizinische Diagnose zu verbessern. Zum Beispiel gehe es darum, mit Hilfe spezieller Moleküle das Gehirn besser zu begreifen und Fehlfunktionen früher zu erkennen. Das könne bei Alzheimer oder Parkinson hilfreich sein. Im Moment sitzt er aber noch auf dem einen oder anderen unausgepackten Karton.
Als er vor einigen Tagen die Kollegen des eigenen und des benachbarten Instituts begrüßte, war das Interesse an dem Neuen groß. Ritter stellte sich kurzerhand auf einen dicken Packen Kopierpapier. Sein Dank galt zunächst den anderen Direktoren des MPI, Ferdi Schüth, Walter Thiel, Alois Fürstner und Benjamin List, sowie den Mitarbeitern der Verwaltung und den Technikern. „Alle hatten immer ein offenes Ohr und lösten Probleme schon, bevor sie dazu werden konnten.“ Besonderes Lob habe sein Team verdient. Er freue sich, dass so viele seiner Mitarbeiter den Umzug mitgemacht haben. „Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist.“
Ritter hat bislang ein unstetes Leben geführt und ist im Dienste der Wissenschaft oft umgezogen. Der gebürtige Lübecker, der in Bad Schwartau sein Abitur machte, begann sein Studium in Braunschweig, wechselte nach Bordeaux, ging nach Lausanne, von dort für ein Jahr in die USA nach Stanfort, kehrte in Schweiz zurück und promovierte in Zürich, wo er seine Frau, eine Französin und ebenfalls Chemikerin, kennenlernte mit der er schließlich 2005 nach Boston ging. Inzwischen hat das Paar drei Kinder und er neben der deutschen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.
16 Jahre im Ausland - da war es schon ein kleiner Kulturschock, in Deutschland in einem Supermarkt einkaufen zu gehen. Neben der Wissenschaft, der er sich sechs Tage die Woche widmet, ist ihm als Ausgleich Sport wichtig. In seiner Jugend war er Leistungsschwimmer, jetzt joggt er und wartet auf sein Fahrrad, das in Mülheim noch nicht angekommen ist.
Wie unkonventionell und unkompliziert Ritter ist, hatte schon Deutschland Radio Kultur in einem Portrait angemerkt, das vor drei Jahren zur Verleihung des mit 75 000 Euro dotierten Klung-Wilhelmy-Weberbank-Preises gesendet wurde. Positiv hieß es damals auch, dass er mit der größten Selbstverständlichkeit in der Wir-Form von seinem Team spricht und das Ich vermeidet. Angesprochen auf seine Zukunft sagte er damals, er könne sich vorstellen nach Deutschland zurückzukehren. Es werde schon um ihn gebuhlt.