Mülheim. Die afrikanische Gemeinschaft Mülheim beklagt, dass das Jugendamt bei Problemen in ausländischen Familien härter durchgreift als bei deutschen.
Greift das Jugendamt unverhältnismäßig hart durch, wenn es um Probleme in ausländischen Familien geht? Die Afrikanische Gemeinschaft in Mülheim „kocht“, sagen Mitglieder, und erheben schwere Vorwürfe: Ihre Kinder würden schneller und häufiger als bei Deutschen aus der Familie genommen und bei Pflegeeltern untergebracht. Schwer unter Druck geriet das Amt zur Diskussionsveranstaltung des Vereins „Love from Africa“ im Medienhaus am vergangenen Samstag.
Im Sinne des Kindeswohls
Dabei weist das Jugendamt von Anfang an eine ungleiche, gar diskriminierende Behandlung entrüstet von sich: Man müsse im Sinne des Kindeswohls handeln, wenn ärztlich festgestellt würde, dass Kinder geschlagen werden, versuchte Christa Wadle, Mitarbeiterin vom Kommunalen Sozialen Dienst (KSD), die Vorgehensweise zu erklären. Die Erziehungsmethoden vieler afrikanischer Eltern seien vergleichbar mit denen der Deutschen vor vielen Jahrzehnten – nur seien Schläge, Gewalt gegenüber Kindern heute in Deutschland gesetzlich verboten. Nicht nur von Schlägen ist jedoch die Rede, auch von Bissen, von Bestrafungen mit „Chili im Popo“. Wenn die Eltern die Tat trotz ärztlichen Befunds nicht zugäben, könne man nicht gemeinsam an den Ursachen arbeiten, erläutert die Betreuerin vom Amt. Dann bliebe nur die so genannte In-Obhutnahme, also die Unterbringung bei Pflegefamilien.
Doch auch die betroffenen Eltern berichten von „Horrorgeschichten“, in denen bei einem Vorfall gleich alle Kinder aus der Familie genommen würden, in denen die Geschwisterkinder bei verschiedenen Pflegeeltern untergebracht und „auseinandergerissen“ werden, in denen sie auch geschlagen würden oder sogar schwanger nach Hause zurückkehren. „Geht es meinen Kindern dort besser als zuhause?“, stellt eine Betroffene die Maßnahmen infrage. Greift das Jugendamt bei ausländischen Eltern schneller durch als üblich? Rechtsanwältin Susanne Ritterhaus stellt zumindest fest, dass die Zahl der In-Obhutnahmen in den vergangenen Jahren spürbar zugenommen hat. Sie sieht kulturelle Erziehungsunterschiede, aber auch Misstrauen gegenüber Behörden, und plädiert an die Politik, für mehr niederschwellige Erziehungsangebote zu sorgen, um Konflikte mit dem Amt zu mindern.
„Wir leben in zwei Erziehungswelten. Ich erziehe so, wie ich selbst in Afrika erzogen wurde. Jetzt in Deutschland frage ich mich immer wieder: Handel ich richtig nach deutschem Gesetz?“, erklärt eine Mutter ihr Dilemma. Religion und gesellschaftliche Freiheit – für nicht wenige afrikanische Eltern ist auch das ein innerer Konflikt. „Wir brauchen mehr Ehrlichkeit auf beiden Seiten: Amt und Community.“ Einig sind sich beide Seiten schon jetzt: Ein erster Schritt ist an diesem Abend getan.
Das Gespräch suchen
„Ich erwarte angesichts so vieler Fälle, dass das Jugendamt jetzt auf die Eltern zugeht“, fordert die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion Die Grünen Elizabeth Yeboah. Auch Stella Weber, Organisatorin der Diskussion, sieht die Stadt in der Pflicht: „Wir leben in einer anderen Kultur und müssen Fehler machen dürfen, um daraus lernen zu können. Aber das Amt muss auch von uns lernen und verstehen, warum afrikanische Eltern so handeln. Das ist ein langer Prozess, weil Amt und Community lange Zeit nicht offen miteinander gesprochen haben.“