Mülheim. Das sieht das neue Versorgungsstärkungsgesetz vor. Die Kassenärztliche Vereinigung richtet eine Servicestelle ein, die ab 2016 Termine vergeben soll. Uwe Brock von der Ärztekammer Mülheim sieht das skeptisch
„Tut mir leid. Einen Termin kann ich ihnen erst in sieben Wochen geben“. Zweiter Versuch. „Wenn sie so starke Rückenschmerzen haben, sollten sie ins Krankenhaus gehen. Ich habe so schnell keinen Termin mehr frei.“ Wer einen Facharzt braucht, der muss häufig sehr lange warten. Durch das neue Versorgungsstärkungsgesetz, dass Ende Juli in Kraft getreten ist, soll damit jetzt Schluss sein – eine Servicestelle gewährleistet einen Termin bei einem Facharzt binnen vier Wochen. Der Vorsitzende der Ärztekammer Mülheim, Uwe Brock, steht dem Gesetz allerdings kritisch gegenüber.
„Das Problem bei der Servicestelle ist, dass alle Fachärzte gezählt werden, auch die in den Krankenhäusern. Nur welcher dieser Ärzte hat so viel Zeit, neben seinen Patienten im Krankenhaus noch weitere zu behandeln?“, fragt Uwe Brock. Hinzu käme, dass der erforderliche Facharzt nicht in unmittelbarer Nähe zum Wohnort gelegen sein muss. Gesucht wird in gesamt Nordrhein. Zwar soll laut der Kassenärztlichen Vereinigung ein Arzt in zumutbarerer Nähe angeboten werden. Dennoch könnten mitunter längere Wegstrecken in Kauf genommen werden müssen.
Bei den Hausärzten nehmen Probleme zu
Während es bei Fachärzten zukünftig schneller gehen soll, so zeichnet sich bei den Hausärzten hingegen ein ganz anderes Bild ab. „In den kommenden Jahren wird sich die Lage in Mülheim deutlich verschlechtern“, prophezeit der Vorsitzende der Ärztekammer Mülheim. Das Problem sei 1992 entstanden. Da hat die Politik in der so genannten Niederlassungsbeschränkung festgelegt, wie viele Einwohner ein Arzt behandeln soll. Zum Vergleich: Im Ruhrgebiet behandelt ein Hausarzt nach der Bedarfsplanung rund 2140 Einwohner, in ganz Deutschland sind es durchschnittlich 1668. Vor drei Jahren seien die Probleme aufgefallen, jedoch nie behoben worden. „Die Bedarfsplanung für das Ruhrgebiet berücksichtigt nicht den realistischen Bedarf“, betont Brock.
Schlimmer noch: Im gesamten Ruhrgebiet besteht laut der Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund einer Sonderregelung sogar eine Überversorgung. Heißt: Durch die Dichte der Städte, die dadurch hohe Zahl an Fachärzten und die vielen Krankenhäuser sollen sich Synergien ergeben. Allerdings werden in circa elf Jahren mindestens 40 Hausärzte in Rente gehen und somit fehlen. Grund dafür ist das derzeit durchschnittliche Alter von 54 Jahren.
Zu wenige Studenten kommen nach
Durch diese statistische Überversorgung wird, laut neuem Gesetz, jedes Mal von der Kassenärztlichen Vereinigung und Ärzten geprüft, ob die Praxis eines pensionierten Arztes neu besetzt werde oder nicht. „Gesetzlich gesehen dürfte die Praxis gar nicht neu ausgeschrieben werden“, erklärt Brock, auch Facharzt für Innere Medizin und Sportmedizin. Sei das der Fall, würde die Kassenärztliche Vereinigung die Praxis kaufen. „Aus welchem Topf das Geld genommen werden soll ist noch gar nicht geklärt. Ich frage mich auch, was dann mit dem ganzen Inventar passiert, zumal die Karteikarten zehn Jahre lang aufgehoben werden müssen“, sagt Brock skeptisch.
Es bestünde nicht nur das Problem, dass in den kommenden Jahren zahlreiche Hausärzte in Rente gehen. Auch kämen laut Brock zu wenige junge Ärzte nach, etwa weil zu wenig Studenten an den Universitäten zugelassen würden und sich die Ausbildung überwiegend in den Krankenhäusern abspiele. Zudem seien zwei Drittel der Studenten weiblich, die Teilzeitarbeit bevorzugten. Und rund ein Drittel von ihnen entscheidet sich nach dem Studium für eine Arbeitsstelle im Ausland. „Wir müssen dringend dafür sorgen, den Beruf des Hausarztes attraktiver zu machen“, betont Brock.
Brock sieht aus Positives
Ein weiterer Punkt des Gesetzes sieht vor, dass niedergelassene Ärzte dafür haften, wenn eine Behandlung im Krankenhaus auch ambulant hätte durchgeführt werden können. „Wenn es ambulant günstiger gewesen wäre, müsste der Arzt die Differenz zahlen“, sagt Brock, der auch hier große Probleme in der Umsetzung sieht.
Trotz all der negativen Aspekte sieht Uwe Brock auch etwas positives an dem Versorgungsstärkungsgesetz und zwar die Förderung der Weiterbildungen von Hausärzten und hausarztnahen Fachärzten wie Augenarzt oder Gynäkologe. Hierfür sollen die Weiterbildungsstellen von 5.000 auf 7.500 erhöht werden.
In zwei Jahren soll die kleinräumige Bedarfsplanung für das Ruhrgebiet überprüft werden. „Das Gesetz war ein Schnellschuss der Politik ohne die Punkte vorher genau zu überprüfen“, so Brock.
Eine Servicestelle gibt es derzeit noch nicht. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) werde daran gearbeitet, damit diese bis zum Ende der Übergangsfrist am 26. Januar 2016 zur Verfügung steht. Es soll eine zentrale Lösung für Nordrhein geben. Detaillierte Angaben können noch nicht gemacht werden – denkbar sei ein Call Center, aber auch eine elektronische Lösung über eine Online-Software, in der Ärztinnen und Ärzte freie Termine einstellen und Vermittler diese auf Anforderung der Patienten einsehen können.
Ein Patienteninformationsdienst (PID) hilft schon heute bei der Suche nach dem richtigen Arzt, (08 00) 6 22 44 88, gebührenfrei.