Mülheim. 51 Asylbewerber leben derzeit in der Unterkunft am Fünter Weg. Ihr Auskommen ist gesichert, aber im Alltag herrschen oft Langeweile und Ungewissheit.
Lirije ist aufgebracht. Gestikulierend macht die 43-Jährige ihrem Ehemann Agron schwere Vorwürfe. „Sie sagt, er würde sie schlagen“, übersetzt Dolmetscherin Robertina Al-Ashouri aus dem Albanischen ins Deutsche. Agron entgegnet, Lirije würde ihn ständig ausschimpfen. Beispielsweise, wenn er um die Ecke einen Kaffee trinken gehen will. Sozialarbeiterin Nadine Hinnerkott beobachtet den Streit genau, hört sich die Übersetzung an und macht sich Notizen.
Derartige Diskussionen erlebe sie am Fünter Weg immer mal wieder, sagt die Sozialarbeiterin. Neben den ganz besonderen Problemstellungen in einer Flüchtlingsunterkunft gebe es nun mal auch hin und wieder zwischenmenschliche Spannungen. Gemeinsam mit Dolmetscherin Robertina Al-Ashouri versucht Hinnerkott zwei Mal pro Woche, die Fragen und Sorgen der Flüchtlinge bei einer Sprechstunde zu klären. „Häufig geht es um Organisatorisches im Alltag – das Einrichten des eigenen Kontos, Arzttermine, Hilfe bei Behördengängen oder das Kind, das in die Schule muss“, erklärt Hinnerkott. Außerhalb der Sprechstunde steht ein Hausverwalter als Ansprechpartner zur Verfügung, der mit Kümmerern der Pia-Stiftung eine 24-Stunden-Betreuung sicherstellt.
Zwei Familien wurden wieder ausgewiesen
Lirije und Agron scheinen derweil eine Lösung gefunden zu haben. Agron möchte zum Sohn ziehen, der in Lippstadt in einer Wohnung für Flüchtlinge untergekommen ist. „Das ist eine Sache für das Ausländeramt, das kann ich hier nicht entscheiden“, sagt Nadine Hinnerkott. Der Ausgang der Angelegenheit ist unklar.
Ungewissheit ist ein ständiger Begleiter für die 51 Bewohner, die derzeit in der Sammelunterkunft leben. Die meisten stammen aus Albanien, einige aus Serbien. Da sie aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ nach Deutschland gekommen sind, stehen ihre Chancen auf Asyl denkbar schlecht. Die meisten werden Deutschland früher oder später wieder verlassen müssen. Zwei Familien, die am Fünter Weg gelebt haben, seien bereits wieder ausgewiesen worden, berichtet Hinnerkott.
Auf der Suche nach Sicherheit
Ein Schicksal, das auch Familie Kajaj fürchtet. Vater Dorian und Mutter Dhurata bewohnen mit ihren Töchtern Klea (11) und Jorida (9) seit rund zwei Monaten eine Parzelle im Erdgeschoss der alten Grundschule. Ihr Weg führte sie aus der albanischen Küstenstadt Vlora zur Erstaufnahmestelle in Dortmund über Wickede und Unna bis nach Mülheim.
„Willkommen“, sagt Vater Dorian auf deutsch und hält den Vorhang auf, der für jede Parzelle als Sichtschutz zum Gang dient. Dahinter hat sich die Familie so gut wie möglich häuslich eingerichtet. Zwei Hochbetten mit violetter Bettwäsche, ein Kleiderschrank für alle, ein Tisch mit Stühlen. Das Mobiliar ist einfach, aber neu.
Sicher allein zur Schule gehen
Die Familie ist froh, hier zu sein. In Sicherheit. „In Albanien wurden wir bedroht“, erzählt Mutter Dhurata, die als Arbeitsinspektorin tätig war und einen Korruptionsfall verfolgte. Hier sei endlich alles besser, meint Tochter Jorida. „Ich kann alleine sicher zur Schule gehen,“ sagt die Neunjährige glücklich.
Nicht nur die Töchter lernen in der Schule, die ganze Familie besucht den Deutsch-Kurs, der täglich am Fünter Weg angeboten wird. Ein Wörterbuch Deutsch-Albanisch liegt auf dem Fensterbrett, direkt daneben das Buch des bekannten Hollywood-Films „Free Willy 2“ – alles, was beim Erlernen der fremden Sprache hilft, nutze er gerne, sagt Vater Dorian. Zeit haben die Eltern ohnehin genug, berichten sie. „Ich würde gerne arbeiten gehen“, sagt Dorian.
Das ist ihm als Asylbewerber jedoch untersagt. So verbringen die Kajajs die meiste Zeit des Tages in der Unterkunft. „Eine eigene Wohnung mit mehr Privatsphäre wäre natürlich toll“, sagt Mutter Dhurata. Da die Wände der Parzellen nicht deckenhoch seien, werde es schon manchmal laut, wenn die Nachbarn sich unterhalten oder Musik hören. Aber die Kajajs sind zufrieden. Nur zurück nach Albanien, das wollen sie nicht.