Mülheim. . Das Geschehen rund um die Geburt ist längst nicht mehr reine Frauensache. Chefärztin Dr. Andrea Schmidt und Hebamme Renate Hildach begrüßen das.

Die Geburt eines Babys ist heutzutage nicht nur Frauensache, sondern meist Partner- oder gar Familienangelegenheit. Diese Entwicklung begrüßt Dr. Andrea Schmidt, Chefärztin der Mülheimer Frauenklinik. Hebamme Renate Hildach, die den Kreißsaal leitet, hat in ihrer 42-jährigen Berufserfahrung aber auch noch andere Zeiten erlebt...

In früheren Jahrzehnten war der Kreißsaal, vom diensthabenden Arzt einmal abgesehen, vermutlich männerfreie Zone, oder?

Renate Hildach: Die Frauen blieben bei der Entbindung meist alleine. Als ich 1973 hier angefangen habe, war das evangelische Krankenhaus in Mülheim eines der ersten, wo die Männer überhaupt dabei sein durften. Ab den späten 80er Jahren änderte sich das. Inzwischen ist es gang und gäbe, dass Hebammen die künftigen Eltern schon bei den Vorbereitungskursen kennenlernen, später bei der Geburt treffen und auch in der Nachsorge für die Familien da sind.

Dr. Andrea Schmidt: Heute ist es die absolute Ausnahme, wenn ein Partner nicht mit zur Geburt kommt.

Gilt das für Menschen aus allen Kulturkreisen?

Dr. Schmidt: Ja. Gelegentlich schicken allerdings Frauen den Mann raus, dann bleibt er vor der Tür.

Seit Jahresbeginn 315 Geburten in Mülheim

Zu ihrem nunmehr fünften Familientag lädt die Mülheimer Frauenklinik im Ev. Krankenhaus am Sonntag, 14. Juni, Interessierte aus allen Generationen ein. Von 12 bis 17 Uhr gibt es u.a. Kreißsaal-Führungen, Kinderaktionen drinnen und draußen (Hüpfburg, Spielmobil, Zauberer, Gummibärchen-Operationen etc.) sowie einen Flohmarkt für Baby- und Kindersachen im Krankenhausfoyer. Weitere Infos unter www.evkmh.de.

Die Zahl der Geburten in der Mülheimer Frauenklinik ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. 2014 kamen dort insgesamt 749 Babys zur Welt. Im laufenden Jahr, bis zum gestrigen Montag, wurden bislang 315 Entbindungen gezählt.

Mussten Sie Ihrerseits auch schon Angehörige aus dem Kreißsaal weisen, weil sie gestört haben?

Hildach: Das machen wir eigentlich nicht. Geburt ist relativ öffentlich geworden und unsere Erfahrung mit der Einbindung von Familien durchweg positiv.

Dr. Schmidt: Die Patientinnen signalisieren und entscheiden selber, ob sie sich mit der Situation wohl fühlen oder nicht. Ich hatte beispielsweise einen Fall, in dem die Schwangere darum bat, ihre Schwiegermutter wegzuschicken. Wenig später war das Baby da.

Kurse für frischgebackene Großeltern

Wen außer den werdenden Vätern haben sie als Begleitung denn schon erlebt?

Dr. Schmidt: Wir erlauben, dass zwei Bezugspersonen dabei sein dürfen, fast immer ist es nur eine. Das kann auch eine gute Freundin oder die Mutter sein.

Manche Geburtskliniken bieten mittlerweile schon Kurse für frischgebackene Großeltern an, die sich in punkto Baby weiterbilden möchten. Was halten Sie davon?

Dr. Schmidt: Ich bin da etwas zwiegespalten...

Hildach: Ich auch.

Warum?

Dr. Schmidt: Weil die Älteren auch durchaus wertvolles Wissen mitbringen. Es gibt immer moderne Wellen, durch die gegangen wird. Man sollte aus jeder Generation Wissen weitergeben und weiterleben lassen.

Entbindung wird fast nie gefilmt 

Twittern zwischen den Wehen, Videos vom Durchtrennen der Nabelschnur – welche Regeln gelten für die Benutzung von Handys oder Kameras im Kreißsaal?

Dr. Andrea Schmidt: Wir haben keine festen Regeln dafür, aber bisher waren sie auch nicht notwendig. Das ist eine ganz persönliche Sache, die Eltern für sich entscheiden müssen, egal, wie die Hebamme oder ich darüber denken.

Erleben Sie es denn, dass werdende Väter während der Geburt filmen möchten?

Renate Hildach: Der Trend war früher stärker, als die kleinen Videokameras aufkamen. Die Entbindung selber wird äußerst selten aufgenommen, nur das neugeborene Baby.

Dr. Schmidt: Für Paare ist der Moment der Geburt immer noch sehr persönlich. Sie sind so überwältigt von Freude und Emotionen, dass sie meist gar nicht daran denken, das Handy aus der Tasche zu ziehen.

Manche behaupten ja, Väter brauchen im Kreißsaal fast genauso viel Betreuung wie die Mütter. Stimmt das?

Dr. Schmidt: Das ist ein Klischee. Auch bei Kreißsaal-Führungen werde ich oft gefragt: ,Wann ist das letzte Mal ein Mann in Ohnmacht gefallen?’ In der Realität passiert das aber so gut wie nie.

Hildach:Väter fragen oft: ,Was kann ich tun?’ Und wir leiten sie dann an, die Frauen zu unterstützen.

Stellen Männer bei Führungen andere Fragen als Frauen?

Dr. Schmidt: Nein. Meistens kommen beide Partner schon recht gut vorbereitet und informiert, und dann spricht einer für beide.