Angelika und Hans-Hermann Nagel geben ihre Gärtnerei zum Jahresende auf. Supermärkte machen mit billigen Blumen Konkurrenz, Energiekosten steigen, am Stand läuft es schlecht. Ihr Familienbetrieb an der Gracht bestand 106 Jahre, Nachfolger fanden sich nicht.

Draußen dämmert der Abend. Angelika Nagel, für die sich ein Markttag neigt, ist seit 14 Stunden auf. Fast ebenso lange hat sie heute gearbeitet, doch erschöpft wirkt die 60-Jährige nicht. Gleichwohl: Die Gärtnerei Nagel, im Oktober 1902 vom Großvater ihres Gatten Hans-Hermann an der Gracht gegründet, macht Ende dieses Jahres zu.

„Wir schließen zum 31.12., weil mein Mann die Altersgrenze erreicht hat”, erklärt Angelika Nagel, die auch Vorsitzende des Marktverbandes ist. „Definitiv. Wir haben keine Kinder, niemanden, der den Betrieb übernehmen würde.” Kein Nachfolger habe sich trotz mehrjähriger Suche gefunden. Die Arbeit, im Alleingang mit Aushilfen, ist immens und der Ertrag für junge Leute, „die keine Substanz schaffen können”, zu schmal.

Gleich mehrere Tendenzen machen den Nagels das Leben sauer. Die Konkurrenz: „Wir sind eingekreist von Supermärkten”, klagt die Zierpflanzenhändlerin, „sie expandieren, und jeder hat billige Blumen.” Nur zum Verschenken würden sich die Leute noch floristische Facharbeit leisten.

Die Kosten: Um 1553 qm Treibhäuser zu beheizen, bestellen die Nagels durchschnittlich drei Lieferungen à 20 000 Liter Heizöl pro Saison. Zu „explodierenden Preisen”. Auch Strom wird teurer. Zum Betrieb gehören 3000 qm Freiland, die Pflanzen brauchen viel Wasser.

Die Flaute am Stand: Angelika Nagel, ausgebildete MTA, steht hier seit ihrer Heirat im Jahr 1970, von Dienstag bis Samstag, von früh bis mittags. Sie meint: „Der Mülheimer Markt war mal der schönste weit und breit. Doch wegen der Baustellen kommen die Leute nicht mehr.” Die Einnahmen nennt sie „eine Katastrophe”. Ein Umzug auf die Schlossstraße, zur 200-Jahr-Feier im Sommer erfolgreich erprobt, wäre sehr in ihrem Sinne – kommt nun allenfalls nach ihrer aktiven Zeit.

Der bevorstehende Ruhestand ist für die Nagels mit extrem gemischten Gefühlen verbunden. Ihr Alltag, oft arbeitsreiche 15- bis 18-Stunden-Tage („wir brauchen aber auch nur vier, fünf Stunden Schlaf”) wird sich spürbar entspannen. Mehr Zeit lassen für Spaziergänge mit Filou, der riesigen Deutschen Dogge, endlich mal wieder Skiurlaub erlauben. „Wir waren”, sagt Angelika Nagel, „seit 20 Jahren nicht einen einzigen Tag aus dem Betrieb.” Nie Ferien? „Nein. Bei lebenden Pflanzen geht das nicht.” Weil jemand die Blumen fachkundig versorgen muss, sie jedoch keine geeignete Vertretung hätten.

Was ihr vermutlich fehlen wird: der Allwetterverkauf auf dem Platz. Der Markt, sagt Angelika Nagel, sei ihre Leidenschaft. „Ich muss Menschen um mich haben und freue mich, wenn die Kunden zufrieden sind. Ich bin da hineingewachsen, und jetzt kann ich es nicht mehr lassen.” Oder doch? Es wird sich zeigen.

Während die Nagels in ihrem 300 Jahre alten, denkmalgeschützten Fachwerkhäuschen mit großem Garten wohnen bleiben, werden ab Januar die Treibhäuser abgebaut und alle Öfen entsorgt. Am 1. Juni soll eine Baufirma anrücken, die auf dem Grundstück Einfamilienhäuser errichtet. Wenigstens lebendig wird es an der Gracht auch ohne Gewächshäuser bleiben.