Mülheim. . Durchfallen kann keiner, denn offiziell ist es gar keine Fahrradrüfung, sondern eine Lernzielkontrolle. Aufgeregt sind die Viertklässler der Grundschule am Schildberg dennoch.

In Dümpten geht es einmal rund – und dabei auf und ab. Im Viertel zwischen Barbara- und Borbecker Straße muss die ein oder andere Steigung bewältigt werden. Doch die Jungen und Mädchen flitzen ungerührt auf ihren Fahrrädern vorbei. Die Viertklässler haben gerade andere Sorgen, sind gedanklich eher bei rechts vor links, Handzeichen und Schulterblick als bei der durchaus hügeligen Strecke. „Das Adrenalin treibt sie an“, sagt Polizeisprecher Marco Ueberbach und hat wahrscheinlich recht. Die Aufregung ist groß an diesem Mittwochmorgen: Die vierten Klassen der Grundschule am Schildberg treten zur Fahrradprüfung an. Pardon, zur Fahrrad-Lernzielkontrolle.

Denn streng genommen – also rein rechtlich – ist es keine Prüfung. Durchfallen kann keiner. Die Eltern, die in gelben Warnwesten entlang der Strecke positioniert sind, können nur entscheiden: sicher oder üben. Letzteres wird dann Eltern und Kindern nahegelegt, bevor’s allein aufs Rad geht. „Früher war das anders“, sagt Zoran Jovanovic, der beim städtischen Ordnungsamt für die Verkehrserziehung zuständig ist. „Früher haben die Kinder ein Stoppschild überfahren und sind durchgefallen. Dann hatte man weinende Kinder. Das gibt’s nicht mehr.“ Trotzdem sprechen alle noch von Fahrradprüfung, sagt der Mann von der Jugendverkehrsschule, denn „so nehmen die Kinder das ernster“.

Und die 4b, die an diesem Morgen in Dümpten den Anfang macht, ist bestens vorbereitet. Die Jungen und Mädchen sind die Strecke abgefahren, mehrmals. „Durchs Üben nimmt man ja die Nervosität“, sagt Mutter Michaela Reinartz, die beim ersten Linksabbiegen am Straßenrand steht. Noch hilft sie, erinnert ruhig an den Schulterblick, das Handzeichen, das ein bisschen mittiger Einordnen. „Das ist ja noch die erste Runde.“

Die ist zum Einfahren und laut Polizeihauptkommissar Hans-Joachim Ruhl, der an diesem Morgen das Sagen hat, „die aufregende Runde“. Wichtiger sind aber die zwei folgenden – denn die zeigen, wie sicher die Grundschüler auf zwei Rädern unterwegs sind. „Ich bitte Sie“, sagt Ruhl bei der Einweisung der Eltern, „lassen Sie die Kinder einfach fahren.“ Und ehrlich sollen sie ein, als Autofahrer objektiv einschätzen: „Wenn ich diesem Kind auf seinem Rad im Straßenverkehr begegne, komme ich dann damit klar?“ Oder ist es unsicher, schaut nur nach unten auf den Reifen? Missachtet es die Vorfahrt? Das sind die Bewertungskriterien, das Minimum, das die Jungen und Mädchen zeigen müssen. Denn eben darum geht es: Die Kinder sollen sich im Straßenverkehr bewegen, zeigen, dass sie sich zurechtfinden.

Die 23 Kinder der 4b meistern das spielend. „Einmal“, sagt Finn (10) nach drei Runden Prüfungsfahrt, „hab’ ich das Handzeichen vergessen, aber die letzte Runde war gut. Ich bin die Strecke aber auch oft abgefahren.“ Auch Mia (10) und Alina (9) sind zufrieden, trotz Nervosität am Anfang. „Wenn man einmal fährt, geht es“, sagt Mia. Philipp hingegen hatte während der Lernkontrolle mit ganz anderen Problemen zu kämpfen: „Da kam ein Auto von links und der hat nicht angehalten. Da musste ich für ihn stehenbleiben.“ Tja, Philipp, willkommen im Straßenverkehr.

Die optimale Route: nicht zu viel, nicht zu wenig Verkehr

Die Dümptener Route ist laut Polizeihauptkommissar Hans-Joachim Ruhl eine der längsten der Stadt. Für Prüfungsstrecken gilt: keine Hauptstraßen. „Aber ein paar Autos sollten da schon fahren.“ Immerhin sollen alltägliche Situationen eingeübt und bewältigt werden, damit „die Kinder Sicherheit gewinnen“. Das ist laut Hans-Joachim Ruhl zentrales Ziel der Fahrradprüfung.

Sicherheit gibt diese auch den Eltern, und die Gewissheit: Wenn ihre Kinder in die fünfte Klasse wechseln, können sie sicher zur neuen Schule mit dem Rad fahren. Vorher sind Schulwege auf zwei Rädern in Mülheim die Ausnahme, obwohl es rechtlich im Ermessen der Eltern liegt, ob sie ihre Kinder alleine losschicken. „Ich verstehe, dass man heute schlechter loslässt, auch wegen des Verkehrs“, sagt Ruhl, doch dieser Lernprozess sei wichtig.

Zoran Jovanovic sieht aber einen positiven Trend. Seit 15 Jahren arbeitet er in der Jugendverkehrsschule des Ordnungsamts, geht ab der zweiten Klasse in Grundschulen, um den Kindern zu zeigen, wie sie auf zwei Rädern im Verkehr unterwegs sind. Er ist überzeugt: „Die Kinder fahren in Mülheim heute mehr Rad als früher.“ Das gelte quer durch alle Stadtteile. Unterschiede macht er links und rechts der Ruhr nur beim Radtyp aus. „Dabei muss das Rad nicht teuer sein“, sagt Polizeisprecher Marco Ueberbach, „nur verkehrstüchtig.“