Eigentlich zieht der DGB zum 1. Mai eine positive Bilanz: Die Einführung des Mindestlohns und die Rente mit 63 nach 45 Berufsjahren seien deutliche Erfolge, die in den vergangenen Monaten errungen worden sind. Durch den Mindestlohn seien keine Arbeitsplätze verloren gegangen und es sei auch kein „Bürokratiemonster“ entstanden, sagte der Mülheimer DGB-Chef Volker Becker-Nühlen auf dem traditionellen Arbeitnehmerempfang im Haus der Stadtgeschichte am Montagabend. Und doch blicken aber die Gewerkschaften in Mülheim besorgt auf die Entwicklung in der Industrie.
Gedrückte Stimmung
Rund 1000 Arbeitsplätze, so Becker-Nühlen, könnten im Mülheimer Siemens-Werk gestrichen werden. Das wären 600 mehr, als die bislang genannten 450. Offiziell bestätigt ist diese Zahl nicht. Aber: Am 7. Mai tagt in München der Wirtschaftsausschuss von Siemens. Der Betriebsrat geht davon aus, dass danach die Mitarbeiter informiert werden. Die Stimmung in der Belegschaft „ist gedrückt“, sagt der Betriebsratsvorsitzende von Siemens Mülheim Pietro Bazzoli. Es gehe um die Frage, welche Perspektive der Standort Mülheim hat.
Aber nicht nur Siemens macht Schlagzeilen. Vallourec verhandelt mit 150 Mitarbeitern um einen Stellenabbau. „Es geht hier auch um die Standortfrage“, so Becker-Nühlen. Er rechnet damit, dass man in zwei bis drei Wochen mehr wisse. Neben Mülheim mit 1200 Beschäftigten ist das Unternehmen auch noch in Düsseldorf und Frankfurt vertreten.
Auch bei Europipe sei die Situation „ganz schwierig“. Das Mülheimer Unternehmen, Salzgitter Mannesmann Grobblech (MGB) und Pipecoatings mit rund 1400 Mitarbeiterin sind als Zulieferer und Produzenten von Rohren an dem South-Stream-Projekt beteiligt, für das Russland Ende 2014 ein Lieferstopp verhängt hat. Kurzarbeit drohe zudem schon im Mai auf der Friedrich-Wilhelm Hütte im Stahlguss-Bereich, so Becker-Nühlen.
Er sieht die Entwicklung der „Industrie 4.0“ kritisch. „Wir haben die Pflicht zu gucken, wohin sich die Industrie entwickelt. Die Computer werden immer mehr vernetzt. Aus meiner Sicht ist es offen, ob das eine gute Entwicklung ist. Erfolgreich wird sie nur dann sein, wenn die Beschäftigten die Möglichkeiten haben, sich einzubringen“, so Becker-Nühlen. Es gehe nicht immer nur um mehr Geld, sondern um bessere Arbeitsbedingungen. Ein Lichtstreifen sei der Mittelstand in Mülheim. Hier gebe es wenig Insolvenzen, die Firmen stünden gut da.
Ähnlich sieht es auch Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld. In Anlehnung an das Motto des diesjährigen 1. Mai „Die Arbeit der Zukunft gestalten“, sagte sie: „Gute Arbeit wird nur dann gesichert werden können, wenn wir sie Veränderungen anpassen.“ Es gebe noch viel zu tun. Die OB nannte das Entgeltgleichheitsgesetz, das gleiche Entlohnung für Mann und Frau vorsieht, weitere Vereinbarungen von Beruf und Familie sowie ein Gesetz, das die Häufung von befristeten Verträgen beendet.
Es war der zwölfte und auch ihr letzter Arbeitnehmerempfang, zu dem Dagmar Mühlenfeld als Oberbürgermeisterin einlud. Der DGB dankte es ihr – wie es symbolisch kaum treffender hätte sein können – mit einer Turbine, wie sie bei Siemens gebaut wird: in Miniaturformat.