Was auf den ersten Blick wie Flugkörper im Anflug auf die Skyline einer Großstadt anmutet, entpuppt sich als Video einer Stadtansicht von Tel Aviv – aufgenommen durch ein Teeglas, in dem Blätter zu Boden sinken. So harmlos wie diese friedliche und anheimelnde Tee-Zeremonie erscheinen mag, ist die Gefahr in der Arbeit der Künstlerin Talia Keinan fast greifbar.
Herausgerissene Gesichter aus zerknitterten Schattenporträts oder die Abbildung eines eigentlich harmlosen Bleistiftes am Ohr, die Grausames assoziieren, sind ebenfalls Kunst der Augentäuscherei. Auch formal, denn die „Zeichnungen“ von Gil Shachar sind keine Arbeiten auf Papier, sondern plastische Nachbildungen. Gar ein bisschen wie im Wachsfigurenkabinett fühlt sich der Besucher beim Anblick der Köpfe von Shachar: detailgetreu bis in die letzte Falte und jedes Härchen, aber immer mit geschlossenen Augen, sind sie in sich gekehrt und erinnern entfernt an Totenmasken. Als würden diese Köpfe ohne Körper gleich die Augen öffnen und zum Leben erwachen, wirken sie gleichsam abstoßend und anziehend. Die surreale Situation hebt ein Aktenschrank unterhalb der Büste auf und beförderte sie ins Hier und Jetzt.
„Konturen des Alltags“ ist die Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst aus Israel in der Alten Post überschrieben, die Anja Bauer kuratiert hat. Mit Yoav Efrati, Yitzhak Golombek, Talia Keinan und Gil Shachar sind vier maßgebliche Vertreter der aktuellen israelischen Kunstszene vertreten, die alle irgendwie mit Mülheims Partnerstadt Kfar Saba verbunden sind. Bis auf Shachar, der seit 1996 in Duisburg lebt, arbeiten sie in Tel Aviv. Talia Keinen wurde 2008 mit dem wichtigsten israelischen Kunstpreis der Nathan-Gottesdiener-Stiftung ausgezeichnet.
Im Vorfeld des 50. Jahrestages der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, so Museumsleiterin Dr. Beate Reese, unterstreiche diese Ausstellung auch die Verbindung, die Mülheim seit 1993 zu seiner Partnerstadt Kfar Saba pflege.
Geht es um Israel, so wabern zumeist die politische Lage, Konflikte, Religionen und der Holocaust durchs kollektive Gedächtnis. Dabei hat sich im Staat Israel durch Einwanderer aus aller Welt ein Schmelztiegel der Kulturen und eine junge, prosperierende Kunstszene entwickelt. Wenngleich sich die fragile Situation im Lande mit einer latenten Bedrohung in dieser Ausstellung unterschwellig ihren Weg bahnt. Deutlich wird dies in der großen Installation aus Eierkartons, die an eine Mauer erinnert. Diese Präsentation mit Kunst aus Israel ist mehr als nur doppelbödig mit vielen Dimensionen. Darin versteckt ist auch ein Vogel, der im Hebräischen für Freiheit steht.