Mülheim/Athen. . Die Mülheimerin Magda Topuzidou lebt seit Jahren in Athen. Jetzt aber hält sie es in dem krisengebeutelten Land nicht mehr aus. Ein Erfahrungsbericht.

„Ich habe vor, so bald wie möglich von hier wegzukommen.“ Magda Topuzidou nimmt kein Blatt vor den Mund im Telefonat mit der WAZ. Die gebürtige Mülheimerin, die den Klassenkameraden von der Luisenschule noch bestens als „Liza“ in Erinnerung ist, und die 1987 – als 15-Jährige – mit Eltern und Schwester ins (nahezu unbekannte) Heimatland Griechenland aufgebrochen war, will nur noch raus aus dem krisengebeutelten Athen. Alles, so sagt sie, gehe dort den Bach runter, die Folgen der Finanzkrise seien überall zu spüren. Das wirke sich aus aufs Gemüt: „Es gibt kein Vertrauen mehr, keine Sicherheit. Alle sind deprimiert, die Stimmung ist schlecht.“ Das Dasein im Griechenland 2015 sei – schlicht und ergreifend – ein freudloses.

Der Frust, so betont Topuzidou, sei nicht nur ein Gefühl. Er könne klar belegt werden: „Früher gab’s keine Obdachlosen bei uns; seit einigen Jahren werden es täglich mehr.“ Früher fanden junge, gut ausgebildete Menschen ansprechende Jobs, „heute kann der Mittelstand kaum mehr leben, müssen längst erwachsene Kinder zurückziehen in ihre Kinderzimmer“. In Athen stünden „unglaublich viele Wohnungen frei“. Die Banken, na klar, die würden gerettet, „die Bevölkerung aber geht dabei drauf“. Das erkenne man auch daran, dass deutlich mehr Leute das Gespräch mit einem Psychologen suchten.

Zum ersten Mal im Leben verspüre sie auch selbst so etwas wie eine Krise

Zum ersten Mal im Leben verspüre sie auch selbst so etwas wie eine Krise, sagt Topuzidou. Das sei nicht so gewesen, als sie aus Mülheim wegziehen musste, und das sei auch zu keinem anderen Zeitpunkt in 43 Lebensjahren so gewesen. Jetzt aber, nachdem auch sie massiv von den Sparbemühungen des klammen Landes betroffen ist, habe sie keine Lust mehr, einfach weiterzumachen: „Mein Gehalt wurde von einem Tag auf den anderen um über 50 Prozent gekürzt.“

Das hieß, radikal umdenken, Abschied nehmen von dem netten Leben, das sie sich mit Fleiß und Vergnügen aufgebaut hatte: Nach dem Abi stand ein Studium im Bauwesen an, später packte sie noch Umweltschutz oben drauf und fing 2002 als Beamtin im Umweltministerium in Athen an. Zum Arbeitsalltag gehört heute landesweit die Kontrolle von Unternehmen hinsichtlich umweltschutzrechtlicher Belange. Eine tolle Aufgabe – aber nicht mehr zu neuen Konditionen.

Im europäischen Ausland sucht sie nun nach Alternativen

Im europäischen Ausland sucht sie nun nach Alternativen, so wie etliche Freunde vor ihr. „Einer ist in Irland, einer in Brüssel und zwei sind in Spanien.“ Das, immerhin, sei ein positiver Aspekt der griechischen Talfahrt: „Die Menschen sind deutlich mobiler geworden.“

Und vielleicht werde es ja auch eines Tages wieder einmal besser, „ich weiß nur gerade nicht wie“. Kein Politiker habe ein überzeugendes Konzept, „es gibt zwar Demokratie, aber man weiß nicht, wen man wählen soll“. So gingen viele Menschen gar nicht erst an die Urnen. Dabei sei Alexis Tsipras, der dem Bündnis der radikalen Linken Syriza vorsteht, „ein brandgefährlicher Typ, der mit der Verzweiflung der Leute herumspielt“.

Zur Euro-Zone, so findet Magda Topuzidou, solle Griechenland übrigens unbedingt weiter vollumfänglich dazugehören. „Ich glaube nach wie vor an die EU. Nur weil es hier jetzt schlecht läuft, heißt das ja noch lang nicht, dass die Ideen generell schlecht sind. Ich bin mir sicher: Es gibt für alles eine Lösung.“

„Athen leidet. Viele Leute haben Hunger, das ist die Wahrheit“

„Alle 15 Meter schläft einer unter freiem Himmel, und wenn die Sonne untergegangen ist, ist es echt gefährlich auf den Straßen Athens“, erzählt Georgios Tavoularis, Inhaber des „Gyros Salon“ an der Zeppelinstraße. Überfälle seien an der Tagesordnung, erst kürzlich seien einer Cousine nach dem Einkauf die gefüllten Tüten geklaut worden.

Die Zustände in der Heimat, in der er Kindheit und Jugend verbracht hat, machen den 44-Jährigen „traurig, sehr traurig“. Dreimal im Jahr fährt er mindestens noch hin, macht Urlaub in Nordgriechenland oder der Hauptstadt. Die habe es, wie gesagt, besonders hart getroffen. „Athen leidet. Viele Leute haben Hunger, das ist die Wahrheit.“ Gerade Selbstständige und Kleinunternehmer habe es übel erwischt, „die haben alles verloren“. Wer könne, verlasse Athen so schnell wie möglich, gehe zurück ins Dorf, aus dem er sich einst voll Zuversicht aufgemacht hatte in die Hauptstadt. „Im Dorf ist es zwar auch nicht gut, aber da kommt man noch irgendwie durch.“

Alle paar Wochen schickt Tavoularis 200 bis 300 Euro Richtung Verwandtschaft. „Wir sind zwar keine Millionäre, aber es ist nicht zu ertragen, dass die kaum was zu essen haben.“ Leider, so sagt er, könne man nicht allen helfen. Es sei im Übrigen nicht damit zu rechnen, dass sich die Situation bald bessert. Dem Bündnis der radikalen Linken (Syriza) unter Alexis Tsipras, die als Gewinner aus den Wahlen Ende Januar hervorgehen könnten, traut er nicht zu, eine Regierung zu bauen. „Ich glaube, es gibt Neuwahlen im März.“

„Es ist so traurig, dass die Jugend keine Arbeit mehr findet“

Jahrzehntelang war Evangelos Papoutsoglou überzeugt davon, dass er eines Tages zurückgehen werde nach Griechenland, in das Land, das er Anfang der 80er verlassen hatte, um in Deutschland sein Glück zu finden. Seit 1981 betreibt er das „Amfipolis“ an der Kämpchenstraße „und mittlerweile“, so der 58-Jährige, „bin ich fast ein Deutscher geworden“. Mülheim sei sein Zuhause, und auch das seiner Familie. Die Rückkehr sei schon von daher nicht mehr wahrscheinlich – und natürlich spiele auch der Niedergang des Landes eine Rolle bei der Entscheidung.

Papoutsoglou ist betroffen, wenn er gen Hellas schaut, „da ist jeder Grieche traurig“. Besonders belastend sei, „dass die jungen Leute keine Arbeit finden und noch bei den Eltern wohnen müssen“. Dinge, die in Deutschland normal seien, wie die freudige Planung bevorstehender Ferien, seien in Griechenland nur noch für wenige Menschen selbstverständlich: „Die allermeisten fragen: Urlaub? Was ist das? Sie müssen gucken, wie sie überleben.“ Auf dem Dorf gelinge das noch am ehesten, dort, wo jeder jedem helfe und es Gemüse im Garten gibt zur Selbstversorgung.

Besser werde es in absehbarer Zeit nicht, glaubt der Gastwirt. „Nur wenn es gelingt, neue Firmen aufzumachen, schafft man es, dass die Jungen bleiben, sich neues Leben entwickelt.“ Die Euro-Zone zu verlassen, sei übrigens unklug: „Als die EU geschaffen wurde, hat man sich genaue Gedanken gemacht, wer dazugehören soll. Wenn nun einer austritt, zieht das etliche andere Länder nach sich.“