Vor gut einem Jahr hat sich das Wählerbündnis der Migranten gegründet, gut sechs Monate später haben sie die Wahlen zum Integrationsrat gewonnen: Die „Internationalen Bürger Mülheim“ (IBM) stellen von den 16 gewählten Sitzen im Integrationsrat vier. Und auch ein weiterer Erfolg ist dem Bündnis gelungen: Die neue Vorsitzende des Gremiums, Emine Arslan, stammt aus ihren Reihen. Sie hatte überraschend Enver Sen abgelöst, der zwei Jahrzehnte Vorsitzender des Rates gewesen war. Bislang haben sich die Organisationen der Migranten meist aufgrund der Nationalität oder politischer Ausrichtung gegründet. Die IBM ist anders.

Neue Signale des Rates

Eine Frau an der Spitze des Integrationsrates ist nicht das einzige neue Signal, das von der IBM ausgegangen ist. Das Wählerbündnis nimmt auch für sich in Anspruch, die Interessen von Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte anders zu vertreten, als dies ihre Vorgänger getan haben. „Wir sind unabhängig von Parteien – da sind wir neutral. Wir sind aber auch unabhängig von den einzelnen Verbänden und Vereinen“, betont Vorstandsmitglied Saban Sahintürk. Damit spielt er auch auf ein Gerücht an, das nach der Wahl von der neuen Vorsitzenden Arslan von politischen Gegnern gestreut worden war: Die IBM sei lediglich eine Tarnorganisation, in Wirklichkeit stünden hier tatsächlich radikale politische Gruppen dahinter, die sich den Mantel der Unabhängigkeit nur übergeworfen hätten, um auf diese Weise attraktiver für Wähler zu werden. Ferit Sentürk, ein anderes Vorstandsmitglied, weist diesen Vorwurf strikt zurück. Und er kann auch auf Zahlen verweisen: „Bei uns sind Menschen aus allen Nationen vertreten. Wir verstehen uns als Interessenvertreter für alle.“ So stammen allein im engeren Führungszirkel des Bündnisses, der aus 15 Personen besteht, die Mitglieder aus fünf verschiedenen Herkunftsländern.

Niedrige Wahlbeteiligung

Nach der letzten Integrationsratswahl war die niedrige Wahlbeteiligung beklagt worden: 17 Prozent sind zwar im Vergleich zu anderen NRW-Kommunen kein schlechtes Ergebnis, aber von einem großen Interesse an den Wahlen zeugen sie auch nicht. Auch hier will die IBM gegensteuern und mit dazu beitragen, dass sich Einwanderer mehr für Politik interessieren. „Unser Ziel ist, bei der nächsten Wahl eine Beteiligung von 30 Prozent zu erreichen“, so Saban Sahintürk. Und er hat auch eine Vorstellung davon, wie das geht: „Man darf sich nicht auf das Rathaus beschränken.“ Sahintürk meint damit, dass bisher die Politik des Integrationsrates zu verwaltungsbezogen war. Sicher sei dort auch durchaus effektive Arbeit geleistet worden. Aber die behandelten Probleme seien über den Kreis der Verwaltung und der Migrantenverbands-Funktionäre nicht in die Öffentlichkeit gelangt. Wie die IBM sich die Veränderung gegenüber einer solchen Hinterzimmer-Politik vorstellt, konnte man bereits im Sommer beim traditionellen Fest der Kulturen am Ringlokschuppen beobachten. „Früher sind dort fast nur die Funktionäre aufeinandergestoßen. Wir haben nun versucht, aus diesem Fest einen Ort der Begegnung für alle Mülheimer zu machen. So dass das Fest auch attraktiv als Ausflugsziel für Familien wird“, beschreibt Emine Arslan den Ansatz. Er hatte Erfolg: Fast 3000 Besucher waren zeitweise dort.

Die IBM sieht sich als pragmatische Kraft – die anderen Migrantengruppen hätten bisher eher ein Kirchturmdenken gepflegt und vor allem darauf geachtet, dass sie ihre jeweiligen Gruppeninteressen durchsetzen können. Diesen Ansatz hält Saban Sahintürk nicht mehr für zeitgemäß: „Wir sind integriert. Wir sind schon längst angekommen. Wir wollen zeigen, dass wir Teil dieser Stadt sind. Wir bringen uns als Staatsbürger ein. Wir alle zusammen sind Mülheim.“ Was auf den ersten Blick pathetisch klingen mag, ist bei genauerem Hinsehen ein neuer Politikansatz, der weit über den Integrationsrat hinausweist: Er ist pragmatisch, unideologisch und nah an den Bedürfnissen der Menschen. Man wird sehen, inwieweit sich diese andere Perspektive in der Mülheimer Politik insgesamt ausbreiten wird. Mit Hasan Tuncer sitzt bereits jemand im Rat, der mit der IBM gut zusammenarbeitet – man hat sich beim Kampf um die Hauptschule an der Bruchstraße kennengelernt. Freilich die IBM betont ihre Überparteilichkeit – mit der SPD und der CDU fanden allerdings bereits Gespräche statt. Um sich kennenzulernen. Vielleicht wird die IBM noch zu einer Talentschmiede.