Einmal die Geburtsurkunde von Otto Pankok sehen. Im Stadtarchiv stehen über 800 Registerbände für die Öffentlichkeit bereit, die das Leben, Sterben und Heiraten der Mülheimer bekunden.

Eine Menge Holz”, bemerkt Jens Roepstorff, das klingt salopp, ist aber völlig korrekt: Seit Januar stehen im Stadtarchiv 800 schwere schwarze Registerbände mit Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden bereit.

Wer würde da nicht gern „Mäuschen spielen” und einmal die Geburtsurkunde von Otto Pankok sehen? „Zehnter September 1893, geboren in der Wohnung in Saarn, Sektion I, 349”, verkündet Roepstorff nicht ohne Stolz. Straßennamen gab es damals noch nicht, die Stadt war in Sektoren unterteilt. Oder die dokumentierte „gute Partie” zwischen Joseph Thyssen und Clara Bagel. Der Industrielle und die Verlegerstochter heirateten am 8. Mai 1880.

Urkunden als heiße Ware

Doch nicht nur Mülheimer „Promis”, sondern auch normale Bürger befinden sich in den Teilbeständen des Standesamts, die Roepstorff als Leiter des Fachbereichs „Amtliches Schriftgut” gerne in Empfang nimmt. Denn die Urkunden werden unter Familienforschern, Nachlassermittlern und Historikern als heiße Ware gehandelt. Weiterführende Vermerke stehen für sie etwa unter den Geburtsurkunden: Wann die Person wo geheiratet hat und wo sie wann gestorben ist. Zugriff auf diese Information gibt es allerdings erst seit Jahresbeginn, als zuvor im Bund die letzte Datenschutzhürde fiel, die den Aktenzugang nur für direkte Nachkommen erlaubte. „Sie war zu restriktiv”, kommentiert Archivleiter Kai Rawe.

Die nun gültige Regelung erlaubt zwar keinen unbegrenzten Datenzugriff, denn Sterbeurkunden bleiben für die ersten 30 Jahre nach dem Tod unter Verschluss, bei der Heirat sind es 80 und bei der Geburt sogar 110 Jahre. „Dennoch ist sie eine Art Demokratisierung der Daten”, denkt Rawe, „weil jedermann – nicht nur Wissenschaftler – in die Urkunden Einblick nehmen kann.”

Und sich etwa so die Frage beantwortet, wer eigentlich der erste Mülheimer war – von den standesamtlich bekundeten, versteht sich. Ein gewisser Gerhard Peter Koch eröffnet auf der ersten Seite der schwarzen Kladde, geboren am 1. Oktober 1874, da war das preußische Standesamtwesen gerade erst aus dem Ei geschlüpft. Millionenbeträge wegen nun auf Aktenwege entdeckten Erben erwarten Rawe und Roepstorff nicht – die Gebühren für das Verfügbar machen werden nicht am Wert der Daten bemessen. Das Stadtarchiv wird wohl nicht zum Duck'schen Geldspeicher umfunktioniert, was schade ist, denn die Archivierung kostet Dukaten und Zeit.

Für die Ewigkeit

„Bei manchen geht es in 20 Minuten”, weiß Restauratorin Martina Ern: Wenn ein Dokument trocken gesäubert wird, fransige Ränder ausgebessert oder mal ein Klebestreifen entfernt. Denn was ein Bürokrat einmal mit leichter Hand über einen Riss geklebt hat, kann über die Zeit fatal werden und hier werden Urkunden schließlich „für die Ewigkeit” aufgerüstet. Der Kleber suppt irgendwann durch das Papier und greift das nächste Blatt an.

Schwierigere Fälle hat Ern natürlich auch. Besonders die neuen alten Landkarten (früheste aus den 1820er Jahren) aus dem Katasteramt sind, wenn sie erweitert werden mussten, häufig aneinander geklebt worden wie ein Avantgarde-Schnittmuster für Pariser Haute Couture. Die Restauratorin balanciert die uralte Karte von Saarn wie ein rohes Ei, packt sie zwischen Scrynel-Blätter, ein Kunststoff, und lässt ein Wasserbad ein – das Schild auf der Rückseite lässt sich danach schadlos ablösen: Saarn ist gerettet.