Sie sind der Renner in den Mülheimer Facebook-Gruppen: historische Fotos. Egal, ob aus der Zeit der Jahrhundertwende oder auch erst 20 Jahre alt, bei den Menschen rufen solche Stadtansichten Erinnerungen wach. Eine Erfahrung, die auch durch den großen Leser-Zuspruch bestätigt wird, den die NRZ-Serie „Zeitsprung“ erhält.
Einer von denen, der diese Reaktion kennt, weil er sie bei sich selbst erlebt, aber auch dabei hilft, anderen solche Erinnerungen zu ermöglichen, ist Bernd Simmerock. Zahlreiche historische Fotos hat er schon digitalisiert. Eine wichtige Quelle für ihn: der Illustrierte Stadtspiegel, der von den 50ern bis Anfang der 90er monatlich erschienen ist und in dem die Entwicklung der Stadt in Bildern nachgezeichnet wird.
Die Faszination für die Mülheimer Vergangenheit hat Simmerock aber auch zu einem Experten für ein Spezialgebiet der Lokalgeschichte werden lassen: Zusammen mit seinem ebenfalls pensionierten Lehrer-Kollegen Hartmut aus dem Siepen kümmert sich der 67-Jährige nämlich um das Archiv seiner alten Schule: Wochentags ist er fast jeden Vormittag damit beschäftigt, alte Unterlagen der Otto-Pankok-Schule zu ordnen. Da gehören natürlich auch viele Bilder dazu. Und wie es eben bei richtigen Sammlern ist, plötzlich ist die Leidenschaft da - und sie wird immer größer. Ich fand es auch interessant, dass in den Mülheimer Facebook-Gruppen, immer dann, wenn so ein historisches Foto gepostet worden ist, darauf auch Kommentare gefolgt sind, in denen die einzelnen Gruppenmitglieder ihre Geschichte zu dem Bild erzählt haben.
Er macht es an einem Beispiel deutlich: Das Kino am Löwenhof ist ein Ort, an den sich heute 70-Jährige noch gut erinnern können. Da ist man zum Beispiel mit seiner ersten Freundin hin gegangen - das prägt natürlich. Und damit wird auch deutlich, was Simmerock an den alten Aufnahmen fasziniert: Es sind eben nicht nur die Bilder selbst, sondern er findet den Effekt beachtlich, den sie bei den Menschen auslösen - und der reicht über die reine Dokumentation hinaus: Die Fotos geben den Impuls, sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern. Der Einzelne erinnert sich in erster Linie für sich, er denkt so über sich nach. Er reflektiert über sein Leben. - das finde ich sehr gut.
Und Bernd Simmerock hat diese Erfahrung auch bei sich selbst gemacht. Er stammt ursprünglich aus Marburg, hat auch dort und in Bonn Mathematik und Sport studiert - doch seit 1976 hat er an der Otto-Pankok-Schule als Lehrer gearbeitet. Durch die örtliche Entfernung zu seiner alten Heimat ist ihm noch deutlicher geworden: Als Kind und Jugendlicher wird man stark durch Orte geprägt. Ich meine, dass diese Prägung stärker ist als in einem späteren Lebensalter. Zu diesen Orten gehören das Wohnhaus und die Straße, in der man aufwächst. Aber auch die Plätze, wo man sich in seiner Freizeit getroffen hat - wo man gemeinsam rumhängt. Und dann gibt es noch so eine Stelle, die prägt: die Schule. Wer wüsste das besser als der ehemalige Lehrer Simmerock.
„Damals in Mülheim“ - so heißt die Gruppe im Sozialen Netzwerk, wo sich die Freunde der Mölmschen Vergangenheit versammelt haben. Rund 2000 Mitglieder sind dort mittlerweile aktiv. Und ein Aufruf Bernd Simmerocks hat vor wenigen Tagen dann auch direkt positiv eingeschlagen. Er sucht nun nicht mehr nur nach Bildern des Pankok-Gymnasiums, Simmerock möchte nun Fotomaterial zur gesamten Mülheimer Schulgeschichte sammeln.
Jeder war irgendwann einmal auf einer Schule, also müsste eigentlich auch jeder etwas beizusteuern haben: die Schule ist tatsächlich der lokale Erinnerungsort. Allein ein Klassenfoto rief schon viele Kommentare nach sich. Der Eine erkannte den Lehrer, der Nächste ein Nachbarskind. Doch vor allem setzte auch das ein, worauf Bernd Simmerock besonders gehofft hat: Die Leute haben Geschichten erzählt. Die Bandbreite ist sehr groß. Sie reicht von lustigen Anekdoten bis hin zu Berichten auch über traurige Vorfälle. Zum Beispiel über eine Lehrerin, die ermordet worden ist.
Gerade diese Bandbreite beweist aber, dass Simmerock sich für den richtigen Erinnerungsort entschieden hat:Schule ist lebendig - denn in ihr verdichten sich alle Aspekte des Lebens. Die Höhen wie die Tiefen - sie bilden den passenden Rahmen für spannende Geschichten. Sie werden dank Simmerocks Aufruf mittlerweile munter zwischen den einzelnen Mitgliedern der „Damals“ - Gruppe ausgetauscht.
Gleichwohl, wenn es nach Simmerock gehen würde, müsste es bei einem Kontakt nur via Facebook nicht bleiben: „Es ist ein Unterschied, ob ich Fotos in einem Album oder auf dem Computer-Bildschirm anschaue. Das Album kann man anfassen, fühlen, auch riechen. Er versetzt einen gleich in eine Stimmung.“ So wäre eigentlich der nächste Schritt, dass sich die Foto-Freunde, die sich bei Facebook getroffen haben, demnächst einmal persönlich treffen, um gegenseitig einen Blick in die Alben der Anderen zu werfen. Und man kann sicher sein: Wenn sie erst einmal ein Foto gemacht haben, wird es auch viel zu erzählen geben.
Die Reaktionen auf seinen Aufruf haben Bernd Simmerock positiv überrascht. Gleichwohl nimmt er zur Kenntnis, dass die Interessenten größtenteils der Generation 50 plus angehören. Das ist nun mal so, dass man sich im Alter an die Jugend erinnert. Die Aussage: ,Früher war alles schöner’ finde ich aber problematisch. Man muss dann schon genauer sagen, was eigentlich schöner war. Meistens wolle man dadurch wohl eher ausdrücken: Für mich war es früher schöner - eben weil ich noch jung war. Trotzdem: Simmerock glaubt, dass die Auseinandersetzung mit den alten Fotos dabei hilft, eine eigene Position zur Stadtentwicklung zu beziehen. Er hält nicht viel von Ruhrbania, sagt aber auch: Mülheim ist immer noch sehr grün. Dieses Stadtbild sollte seiner Ansicht nicht Geschichte werden.