Der Titel der jüngsten Inszenierung am Theater an der Ruhr, die am Freitag Premiere hat, geht schon schwer über die Zunge und sorgt dann doch für einige Ratlosigkeit: Economania. Sieht man das auf drei Zeilen verteilte Wort auf dem Plakat, wird das schon klarer und das No springt deutlich ins Auge. Man könnte das als ein Nein zum Wirtschaftswahn lesen. Manie heißt, übersetzt aus dem Griechischen, Wahnsinn, Raserei und mit einer Kritik an dem Neoliberalismus und einer immer schnelleren werdenden Zeit hat das Stück denn auch tatsächlich zu tun.

Es spielt in einer fernen Zukunft, in der die Arbeiter den Müll essen und kaum noch miteinander kommunizieren können. Nach dem Sprachverfall sind ihnen nur einzelne Worte und Laute geblieben.

Geschrieben hat Economania der türkische Autor Yiğit Sertdemir vom Theater Kumbaraci, das vor zwei Jahren mit einem Stück in der Reihe „Szene Istanbul“ am Raffelberg gastierte. Das Stück, das bereits am 18. September in Istanbul seine Uraufführung erlebte, ist eine deutsch-türkische Zusammenarbeit. Das Ensemble setzt sich je zur Hälfte aus türkischen und deutschen Schauspielern zusammen. Ferhat Keskin, langjähriges Ensemblemitglied in Mülheim, ist so was wie der Libero. In Istanbul sprach er mehr türkisch, hier wird er mehr deutsch sprechen. Die Inszenierung wurde nur dadurch möglich, dass die Kunststiftung NRW durch die Finanzierung die Produktionskosten komplett getragen hat, die durch die Reisen und Aufenthalte der Theaterleute durchaus beträchtlich sind.

Eine deutsch-türkische Koproduktion klingt spektakulär, das ist sie auch, aber so etwas hat am Raffelberg schon Tradition wie auch der gesamte Kontakt zum Theater in der Türkei. Die ersten Kontakte reichen bis in die späten 80er Jahre zurück. 1987 war das Theater an der Ruhr, wie so oft auch in anderen Ländern, das erste Deutsche Ensemble, das in der Türkei spielte. Ciulli gab Workshops, inszenierte in der Türkei Lorca, Büchner und vor zwei Jahren dann „Der kleine Prinz“ und wechselseitig gab es Gastspiele. Das Staatstheater stellte 1995 Schauspieler für eine Spielzeit frei, die in Mülheim in Brechts „Dickicht der Städte“ und weiteren Stücken mitwirkten. Als Ciulli den Prinzen inszenierte, wurde er gebeten, wieder Workshops zu gegeben, doch der 80-Jährige bot gleich eine gemeinsame Inszenierung an.

Jetzt ist es aber nicht mehr das Staats- oder das Stadttheater, mit dem die Mülheimer kooperieren, sondern eine freie Truppe. Die Theaterszene in der Türkei ist im Wandel. Freie Gruppen schießen wie Pilze aus dem Boden. Es gebe einen großes Unbehagen an den extrem hierarchisch und starr organisierten staatlichen Bühnen. „Diese Entwicklung haben wir zwar nicht ausgelöst, aber sicherlich befördert“, ist Ciulli überzeugt.

Wie es war mit Schauspielern zu arbeiten, die kein Deutsch verstehen? „Angenehm“, antwortet Ciulli knapp und lacht. „Sie können sich vorstellen, dass es für einen Italiener nichts Besonderes ist, sich mit Händen und Füßen zu unterhalten. Das Gestische spielt eine große Rolle.“ Ohne Dolmetscher ging es aber dann doch nicht. Recai Hallaç hatte die Funktion schon in den 80er Jahren übernommen und war auch dieses Mal unverzichtbar. Er spielt auch mit und hat die Rolle des Gedächtnissklaven. Ohne Menschen wie ihn und zwei, drei weitere in anderen Ländern wäre die ganze internationale Arbeit des Theaters in dieser Form nicht möglich. Auf eine Übertitelung wird verzichtet. Schon in „Dickicht der Städte“ funktionierte das, was Ciulli die universelle Sprache des Theaters nennt. Eine Liebesszene zwischen Simone Thoma und einem türkischer Schauspieler habe funktioniert und sei vom Publikum auch verstanden worden, obwohl beide unterschiedliche Sprachen gesprochen hätten.

Economania knüpft an ein Motiv aus Luigi Pirandellos letztem und unvollendeten Stück „Die Riesen vom Berge“ (1937) an. Dort ist eine Theatergruppe dazu verdammt, immerzu dasselbe Stücke zu spielen. Die kommenden Riesen ist eine Metapher für den Faschismus. „Ich habe Angst“, lautete der letzte Satz in diesem Stück. Bei Sertdemir ist die Gefahr nicht mehr konkret fassbar, sie ist anonym geworden, obwohl das in der Türkei noch ganz anders verstanden werden kann. Man muss nur an den Gezi-Protest denken.

Ciulli spricht davon, wie sich das Zeitempfinden in den letzten 50 Jahren verändert hat. „Zum Träumen, Genießen und sich Einlassen hat heute kaum noch jemand Zeit“, stellt er fest und sieht darin eine Folge der Ökonomisierung der Gesellschaft. „Denken Sie an die Schnittfolge im Film. Einstellungen wie bei Visconti. Das erträgt heute niemand mehr.“

Neben den Bezug auf Pirandello zitiert Economania Shakespeare: Sommernachtstraum. Auch dort gibt ein Spiel im Spiel mit den Handwerker, die die Geschichte von Pyramus und Thisbe spielen. „Es gibt keine Szene in der Weltliteratur, die so vehement die Kraft des Theaters beschreibt. Nirgendwo wird die Kraft des Scheins so herausgearbeitet wie in dieser Szene“, sagt Dramaturg Helmut Schäfer. Gleichzeitig sei es auch ein Spiel um Leben und Tod, da die Akteure vom Wohlgefallen des Herrschers abhängig seien, für den sie spielen. Das Theater und die Kunst seien auch Mittel der Aufklärung.

Was Kunst vermag, wird für Ciulli in einem Schlangenbeschwörer sichtbar, der durch seine betörenden Klänge das lebensgefährliche Tier beherrsche. „Der Glaube, mit Theater die Welt zu verändern, ist aber doch etwas anmaßend. Was wir können, ist den Blick des Menschen schärfen.“14-16. November, jeweils 19.30 Uhr. Kartentelefon: 599 01 88