Ich bin froh, in diese Klasse gekommen zu sein. Die Kinder der 6c sollen auf kleine Zettel schreiben, was sie besonders glücklich macht, Dennis kommt zu diesem Ergebnis. Und das ist auch kein Werbegag der Gesamtschule Saarn. Der 11-Jährige ist tatsächlich glücklich über seine Klassengemeinschaft und die Reaktionen seiner Mitschüler, er ist mit seinem Gefühl nicht alleine.

Der Grund hängt damit zusammen, dass an diesem Freitagvormittag nicht Mathe, Deutsch oder Englisch auf dem Stundenplan steht, sondern ganz selbstverständlich die 24 Schüler mit ihrer Klassenlehrerin Kathrin van Emmerich im Stuhlkreis sitzen und miteinander reden. Und zwar über ihre Gefühle.

Lebenkompetenz lernen - unter dieser Überschrift steht die Schulstunde, die jede Woche stattfindet (siehe unten). Aber sollte es eigentlich darum nicht immer gehen? Und muss dann nicht der Umkehrschluss heißen: Der ganze Rest, also der übliche Fächerkanon, trägt eben nicht dazu bei, die Kinder auf das wirkliche Leben vorzubereiten? So weit würde Doris Sawallich, die Didaktische Leiterin der Gesamtschule Saarn, nicht gehen. Aber ihre Erfahrung ist schon, dass im herkömmlichen Alltag oft die Zeit fehlt, sich ausreichend mit den Problemen auseinanderzusetzen, die die Kinder wirklich umtreiben: Freundschaft zum Beispiel. Das ist im Unterricht vielleicht mal ein Thema. Aber eben nur als Seitenaspekt. Dabei ist die Frage für die Kinder ja zentral. Einerseits suchen sie natürlich nach Freundschaft. Gleichzeitig ist gar nicht klar, was Freund sein heute eigentlich noch heißt. Die sind ja alle bei Facebook aktiv. Bedeutet Freundschaft da genausoviel wie die Beziehung zu einem Klassenkameraden? Sawallich ist davon überzeugt: Es gibt unter Schülern Redebedarf. Aber können die Schüler sich gegenseitig das, was sie tatsächlich fühlen, auch so mitteilen, dass es der andere versteht? Gefühle sind vielschichtig - das fühlt jeder bei sich selbst. Aber wie teile ich sie meinem Gegenüber auch so mit?

Wegen solchen Fragen können Ehen zerbrechen, Freundschaften scheitern oder Kollegen nie zu richtigen Kollegen werden. Kurz: Andere Menschen besser verstehen zu können, das ist tatsächlich eine Lebenskompetenz. Dazu gibt es anders als sonst im Unterricht nicht irgendwelche theoretische Einlassungen, sondern Praxis. Vor kurzem hat Kathrin van Emmerich mit ihrer Klasse diese Übung gemacht: „Gut“ und „Schlecht“ schreibt die Lehrerin an die Tafel - und dann: durchgestrichen. Wenn die Kinder ihren Zustand beschreiben sollen, dann benutzen sie eben vor allem diese beiden Worte. Die beschreiben aber ja nur zwei Extreme. Alle Zwischentöne fallen weg. Genau auf die kommt es aber an. Doch eben nicht nur auf die Worte: Die Kinder lernen durch kleine Rollenspiele.

Xenia soll ihren Mitschülern durch ihre Körpersprache zeigen, was Nervosität heißt. Nur: Die anderen kennen den Begriff vorher nicht. Im Nachhinein erzählt sie: In der Körpersprache muss man schon sehr genau sein. Ich habe zum Beispiel überlegt: Ist das jetzt das Gleiche, wie aufgeregt zu sein. Oder doch anders. Die anderen haben es jedenfalls erkannt.

Und damit ist ein wichtiges Ziel erreicht: Nachdenken und sich gegenseitig verstehen. Aber nochmal: Sind das eigentlich nicht Selbstverständlichkeiten? Ja, aber auch die haben besondere Aufmerksamkeit verdient - meint zumindest die didaktische Leiterin der Schule, Doris Sawallich. Und nicht nur sie: Die Gesamtschule Saarn ist konsequent. Bis zur achten Klasse ist diese Stunde fest im Stundenplan vorgesehen. Ab nächstem Jahr auch dann in den höheren Jahrgängen. Und auch die Lehrer werden entsprechend fortgebildet: 38 von rund 90 Pädagogen haben diesen Kurs bereits besucht, für Klassenlehrer ist er Pflicht. „Das ist jetzt unsere größte Fachgruppe im Kollegium.“