Saarn.

Am Anfang steht der prüfende Blick: Ein Täter sucht sein Opfer. Wer jetzt verunsichert zu Boden schaut, hat schon den ersten Fehler gemacht. „Denn das signalisiert Schwäche“, erklärt Panagiotis Kostopoulos. Der 30-Jährige unterrichtet seit 15 Jahren die Kampfkunst WingTsun – er kennt Situationen, die zu Gewalt führen, und Reaktionen, die davon wegführen. Es klinge zwar klischeehaft, sagt Kostopoulos entschuldigend, aber „ein vermiedener Kampf ist ein gewonnener Kampf“.

Ein Kampfkunstlehrer, der nicht kämpfen will? Ganz so ist es nicht. Im WingTsun Zentrum Mülheim, das Panagiotis Kostopoulos am Samstag in Saarn eröffnet, werden er und Trainer Dimitri Tolstow ihren Schüler auch beibringen, wie man sich verteidigt, wenn man in eine körperliche Auseinandersetzung geraten ist. Aber mehr noch soll es darum gehen, was davor passiert. Blicke, Gesten, Schubser – „Auseinandersetzungen folgen einem Muster“, sagt Kostopoulos. Die WingTsun-Schüler sollen diese Abläufe erkennen lernen und schließlich in der Lage sein, die gefährlichen Situationen zu entschärfen. „Wenn ich fliehen kann, dann fliehe ich“, sagt Kostopoulos, der im Hauptberuf als Militärausbilder arbeitet. Erwachsene Männer zu dieser Einsicht zu führen ist nicht unbedingt einfach: Das Ego in Schach zu halten, wenn man selbst oder die Freundin beleidigt werden, falle vielen schwer. Abgesehen von der Bereitschaft, das eigene Ego zu zügeln, müssen die Schüler keine besonderen Fähigkeiten mitbringen. Weder viel Kraft noch Schnelligkeit seien erforderlich. Der Sport eigne sich für Männer und Frauen und auch das Alter spiele keine Rolle. Der Legende zufolge soll eine chinesische Nonne diese Art der Selbstverteidigung vor über 250 Jahren entwickelt haben, um einer jungen Frau zu helfen, die von einem Mann bedroht wurde. „Das System ist dafür ausgelegt, jedem die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidigen“, erklären die beiden Trainer.

Daher gilt ihr besonderes Interesse den Selbstbehauptungskursen mit Kindern. Auch dabei geht es nicht „primär um das Erlernen von Techniken“, wie Kostopoulos erklärt, sondern darum, Kindern spielerisch beizubringen, wie sie sich in gefährlichen oder angsteinflößenden Situationen verhalten können: Mobbing, eine eskalierende Rangelei auf dem Schulhof, übergriffige Erwachsene – die Kinder sollen durch das Training Selbstbewusstsein und Werte entwickeln. Das Einstiegsalter liege normalerweise bei sechs Jahren, doch die Trainer wollen auch Vierjährige unterrichten, wenn diese „weit genug“ sind. So können schon die Kleinsten lernen, weder Opfer noch Täter zu werden.