Kamp-Lintfort. Kinderarzt Volker Leipold hört auf und sucht seit drei Jahren erfolglos einen Nachfolger. Woran die Suche seiner Meinung nach gescheitert ist.
Am 31. Dezember ist Schluss – endgültig. Über 30 Jahre hat Kinderarzt Volker Leipold an der Moerser Straße in Kamp-Lintfort zehntausenden junger Patientinnen und Patienten in seiner Praxis geholfen; jetzt, mit 67 Jahren, will er mehr Zeit für sich, Familie und Freunde haben. Seit drei Jahren steht sein Entschluss fest, genauso lange sucht er nach einem Nachfolger. Bislang ohne Erfolg. Findet sich kein neuer Kinderarzt, der die Praxis übernimmt, muss Kamp-Lintfort demnächst mit nur noch zwei Kinderärzten, die gemeinsam eine Praxis betreiben, in der Stadt auskommen.
„Das ist eine Katastrophe“, bringt Praxishelferin Susanne Kleinophorst die Situation auf den Punkt. Rund 1.400 Mädchen und Jungen behandelt Leipold im Schnitt im Quartal – allesamt Patienten, die sich dann ab Januar einen neuen Kinderarzt suchen müssen. Und das, weiß Kleinophorst aus vielen Gesprächen, wird eine Herausforderung. „Alle anderen Kinderärzte in der Umgegend nehmen schon lange keine neue Patienten mehr auf. Auch wir nehmen nur noch neue Patienten, wenn die Geschwisterkinder bereits bei uns sind. Anfragen bekommen wir aber täglich. Manche rufen weinend an und sagen, sie fänden einfach keinen Kinderarzt.“
Statt Kinderarzt in der Nähe telefonische Terminvermittlung?
Im Gespräch mit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein habe man bereits auf das Problem hingewiesen, dort aber nur folgende lapidare Antwort bekommen: Dann müssten diese Patienten eben künftig ihre Termine über die telefonische Terminvermittlung der KV machen. Eine Antwort, die das Praxisteam nicht nur fassungslos macht, sondern auch empört: „Sollen die Mütter und Väter dann mit ihren kranken Kindern bis nach Düsseldorf fahren, weil da gerade ein Termin frei ist?“
Weitere aktuelle Nachrichten aus Moers, Kamp-Lintfort und Neukirchen-Vluyn:
- EM-Achtelfinale: Public Viewing im Solimare abgebrochen
- Haldenkult-Festival 2024 in Neukirchen-Vluyn: Top oder Flop?
- Spanische Nacht im Tierpark Kalisto: So kam das Event an
- Luna (37) ist Hobby-Model: „Bin zufriedener mit mir selbst“
- Und hier bekommen Sie alle News im Überblick.
Den „vermeintlichen“ Hinweis auf die telefonische Terminvermittlung können man im Nachhinein nicht mehr verifizieren, heißt es auf Anfrage der Redaktion bei der KV Nordhrein. Aber natürlich könne die Termin-Servicestelle nicht das Versorgungsangebot einer ganzen Arztpraxis ersetzen – das sei auch nicht ihre Aufgabe, sagt KV Nordrhein-Sprecher Christopher Schneider. Unabhängig davon wäre aber das grundsätzliche Ziel, „dass sich für die pädiatrische Zulassung ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin findet und das Versorgungsangebot der Praxis langfristig fortführt.“
KV Nordrhein: „Nachbesetzungsverfahren“ läuft
Daher laufe bei der entsprechenden Fachabteilung der KV Nordrhein bereits ein sogenanntes „Nachbesetzungsverfahren“, in dessen Rahmen die Zulassung über die Kanäle der KVNO öffentlich ausgeschrieben und so breit gestreut werde. Schneider: „Momentan bleibt der Ausgang dieses Nachbesetzungsverfahrens abzuwarten. Die örtliche Situation halten wir parallel dazu – insbesondere über unsere örtliche Kreisstelle - im Blick und werden auch über unsere Niederlassungsberater und örtlichen Kontakte versuchen, niederlassungsinteressierte Pädiater auf den entsprechenden Sitz aufmerksam zu machen.“
Auch das Krankenhaus Bethanien hat Volker Leipold bereits informiert, auf den kommenden Notstand aufmerksam gemacht und angefragt, ob das dort ansässige Medizinische Versorgungszentrum angesichts des Mangels an Kinderärzten – auch in Moers hört demnächst ein weiterer Kinderarzt auf – vielleicht seine Kapazitäten erweitern könnte. Aber: Auch dort seien alle Kapazitäten erschöpft, und die Suche nach Kinderärzten für ein MVZ sei aktuell nicht erfolgreich, so die Antwort.
Nachfolger-Suche jetzt auch über Facebook
Nachdem die sonst üblichen Anzeigen über die KV-Praxisbörse oder beim Berufsverband bislang nicht gefruchtet haben, gehen die Praxishelferinnen ganz neue Wege. Sie suchen jetzt via Facebook nach einem neuen Chef, der nicht nur die Praxis, sondern auch das komplette Team übernimmt.
„Wir sind ein eingespieltes Team und möchten gerne zusammenbleiben, uns liegen die Patienten in Kamp-Lintfort am Herzen“, wirbt Caitlyn Merten. Sie postete die ungewöhnliche Anzeige in Facebook-Gruppen in Kamp-Lintfort und Neukirchen-Vluyn und auf einer Seite für Praxishelfer. Allein: Auch das blieb bislang ohne Erfolg.
Warum es so schwer ist, einen Nachfolger zu finden? Volker Leipold sieht viele Gründe. Zum einen spiele die demografische Entwicklung eine Rolle: „Auf unzählige Kinderärzte, die aufhören, kommt eine äußerst begrenzte Zahl, die eine Praxis übernehmen wollen.“ Zwar gebe es seiner Meinung nach genügend gut ausgebildete Kinderärzte, von denen etwa 80 Prozent Frauen seien, viele mieden aber die bislang üblichen Praxismodelle. „Wer eine Praxis übernimmt, muss im Zweifelsfall Schulden machen“, weiß Leipold. Dazu käme, dass der Bürokratie- und Verwaltungsaufwand immer weiter wachse und mehr Zeit in Anspruch nehme. „Das bedeutet für viele, die Arbeit am Ende des Tages nach Hause mitzunehmen.“
Kinderarzt? „Im nächsten Leben gerne wieder“
„Wer eine eigene Praxis hat, kann nicht krank sein“, führt Leipold weiter aus, „es ist halt wie ein eigener Betrieb.“ Für den man neben dem Arztsein noch dazu betriebswirtschaftliches Denken mitbringen müsse. Dazu schwebten bislang die Budgetierung und Regresse wie ein Damoklesschwert über den Ärzten. Er sei trotz alledem immer gerne Kinderarzt in Kamp-Lintfort gewesen – „im nächsten Leben gerne wieder“, sagt Leipold.
Das Problem sei aber auch hausgemacht: „Es hat sich nie jemand um andere Modelle der Niederlassung gekümmert. Warum muss das alles nur privatwirtschaftlich laufen?“, verweist Leipold zum Beispiel auf die sogenannten Ambulatorien, die es in der ehemaligen DDR gab. „Das System stimmt nicht, man hätte längst Strukturen ändern müssen.“
Seitdem feststeht, dass die Praxis Leipold zum 31. Dezember 2024 schließt, halte man die Patienten über das Geschehen auf dem Laufenden, sagt Susanne Kleinophorst: „Die Patienten hoffen und bangen, dass ein Nachfolger kommt.“