Moers. Leon Kretschmer aus Moers lebt offen homosexuell. Der 23-Jährige macht daraus kein großes Thema. Warum er dennoch offen darüber sprechen möchte.
Bewusst bemerkt, dass er anders ist, hat Leon Kretschmer es in der Schule. Schon damals gehörten viele Mädchen zu seinem Freundeskreis. Irgendwann fingen die Jungs in seiner Klasse an, sich für Mädchen in einer anderen Weise zu interessieren. „Ich nicht“, sagt Kretschmer heute. „Ich habe immer zu den Jungs geschaut.“ Noch während der Schulzeit stellte der heute 23-Jährige aus Moers fest, dass er homosexuell ist, sich zu Männern hingezogen fühlt. „Die Erkenntnis kam so 2016/2017“, sagt er. „Man muss das erstmal für sich selbst erkennen.“
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Beim Gespräch mit dieser Redaktion wirkt Kretschmer gelassen. Anlass für den Termin ist der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT), der seit 2015 jährlich am 17. Mai begangen wird und auf nach wie vor existierende Probleme der queeren Community aufmerksam machen soll. Schon zu Beginn betont der Moerser: „Ich binde meine Homosexualität niemanden auf die Nase. Das ist nicht das, womit ich mich als Mensch identifiziere.“ Trotzdem möchte Kretschmer über seine eigenen Erfahrungen offen sprechen. „Wer mich dazu befragt, dem antworte ich auch“, sagt er.
Homosexueller Mann aus Moers: „Man spielte teilweise eine Rolle“
Nach der Selbsterkenntnis kam das Outing. Ein Prozess, den Kretschmer rückwirkend als „durchweg positiv“ bewertet. Zunächst vertraute er sich den Menschen an, die ihm am nächsten standen. Die Familie, die engsten Freunde. „Ich habe mich mit meiner Mutter hingesetzt und ihr es einfach erzählt. Bei meinem Vater habe ich mich per WhatsApp geoutet.“ Bedenken im Vorfeld waren absolut unbegründet. Die schlichte Reaktion seines Vaters: „Ich dachte, jetzt kommt etwas Schlimmes.“ Obwohl Kretschmer wusste, dass seine Familie und seine Freunde dem Thema offen gegenüber stehen, war das Outing „befreiend“. „Man spielte vorher teilweise eine Rolle.“ Schlechte Erfahrungen bezüglich seiner sexuellen Orientierung hat er bis heute nicht gehabt, über den einen oder anderen dummen Spruch in der Schule steht der selbstbewusste Moerser darüber.
Kretschmer ist wichtig: „Ich will weiterhin akzeptiert werden als das, was ich bin“ – unabhängig von der Tatsache, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Zum Ende seiner Schulzeit führte er die erste Beziehung zu einem Mann. „Eine schöne Zeit“, sagt er heute. „Und auch hier gab es kaum negativen Erfahrungen.“ Es sind höchstens vermeintlich kleine Dinge, die auffallen. „Ich bin mit meinem Freund händchenhaltend durch die Stadt gelaufen, da gab es schon auffällige Blicke.“ Auf der anderen Seite kennt Kretschmer aus seinem Umfeld Menschen, die für ihre Sexualität bespuckt, bedroht und gar geschlagen wurden.
Queere Liebe: In manchen Ländern droht die Todesstrafe
Ein Grund, warum der Moerser einen Tag wie den IDAHOBIT nach wie vor wichtig findet. „Viele Leute haben ein Problem mit dem Thema“, stellt er fest. Teilweise sei dies auch auf Religion und Kultur zurückzuführen. Dass Menschen immer wieder Tage wie diesen oder Veranstaltungen wie den Christopher Street Day als „nervig“ betiteln und mit „Das ist ja wohl heute nicht mehr nötig“ kommentieren, kann Kretschmer sogar nachvollziehen. Aber: „Diese Leute wissen wohl nicht, dass es immer noch ein Problem ist und sind vermutlich selbst nicht betroffen.“
Während in anderen Ländern nach wie vor drastische Strafen bis hin zum Tod für Homosexualität drohen, seien es in Deutschland eher vermeintliche Kleinigkeiten. Fragen wie „Wer ist denn die Frau in eurer Beziehung“ kennt Kretschmer zuhauf. Auch „schwul“ als Beleidigung sei nach wie vor im Sprachgebrauch vieler Menschen verankert. „Da reagiere ich sehr allergisch drauf“, sagt er. Den Schlüssel sieht er beim Thema Aufklärung und Erziehung. „Bei mir in der Schule war es in Sexualkunde kein Thema“ erinnert er sich. „Das sollte stattfinden, ohne es zu einem großen Thema zu machen.“ Es sei letztendlich der Einfluss der Gesellschaft, der dazu beitragen könnte, das Thema immer weiter zu normalisieren. So weit, dass es irgendwann kein Thema mehr sein muss.
„Mir wurde Akzeptanz beigebracht“, sagt Kretschmer. „Ich bin stolz darauf, wie ich lebe. Und darauf will man ja auch stolz sein. Da spielt die Orientierung eine untergeordnete Rolle.“