Moers. Vor 20 Jahren hat sich die erste Wählergemeinschaft gegründet – eine Premiere in Moers. Was sie alles lernen musste; was sie noch erreichen will.
Vor 20 Jahren hat sich erstmals in Moers eine Wählergemeinschaft gegründet. In diesem Jahr werden die ersten 20 Jahre gefeiert. Redakteurin Sonja Volkmann hat den Fraktionsvorsitzenden der Grafschafter, Claus Peter Küster, zu den Anfängen, Herausforderungen und Zielen befragt.
Herr Küster, die Wählergemeinschaft „Die Grafschafter“ begeht in diesem Jahr 20-jähriges Bestehen. Damals als Freie Bürgergemeinschaft Moers (FBG) gegründet. Was war der Anlass, eine solche Gruppe zu gründen?
In unserer Stadt haben wenige viel zu sagen. Sie entziehen uns mehr und mehr, unsachgemäß und ohne Rücksicht auf Verluste, die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Infrastruktur unserer Stadtteile. Das und viele weitere unsoziale und ungerechte Dinge galt es zu ändern und in vernünftige und menschliche Formen zu bringen. Dass die Gründung der FBG Moers im Jahr 2004 stattfand, hatte viel mit der damaligen Situation zu tun. Zu erinnern ist an die Rotstiftpolitik von CDU/FDP, der soziale Einrichtungen zum Opfer fielen, wie etwa die Schließung der städtischen Stadtteilbüchereien in Meerbeck und Scherpenberg. Als dann auch in der Moerser Musikschule Sparpolitik angesagt wurde, die die Grünen zunächst unterstützten, machte sich endlich öffentlicher Protest breit. Auch unsere vorherigen privaten Anstrengungen, das Schoko-Ticket einzuführen, gingen im Ergebnis nicht schnell genug voran.
Wie waren Ihre ersten Schritte in der Kommunalpolitik? Letztlich war doch das Terrain für alle neu.
Wir waren und sind ja keine Partei im eigentlichen Sinn, sondern eine Gruppe mit politischem Interesse aus der Mitte der Gesellschaft. Einige kannten sich über verantwortliche Positionen in Schulpflegschaften, Sport- und Fördervereinen sowie im Presbyterium. Uns verbindet eines, die Leidenschaft für unsere Stadt Moers und deren bessere und schnellere Entwicklung. Der Anfang gestaltete sich zunächst etwas aufwändiger als gedacht, doch es gab keine Probleme, die Ärmel hochzukrempeln. Wir hatten damals keinerlei politische Erfahrung, was die Arbeit in den Ausschüssen anging oder die Vorbereitung anhand von Unterlagen. Allerdings wurden schon einzelne Bürgeranträge vor unserer Gründung eingereicht.
Sie haben mit der FBG bereits im ersten Aufschlag drei Ratsmandate geholt. Hatten Sie seinerzeit damit gerechnet? Was waren die Herausforderungen dieser ersten Fraktion?
Damals dachte man zunächst an einen Aprilscherz, als wir unsere Gründung genau am 1. April öffentlich machten und im selben Jahr so unerwartet stark in den Rat einzogen. In die Moerser Parteienlandschaft brachten wir mit der FBG Moers als erste Wählergemeinschaft ein völlig neues demokratisches Element. Was überraschte, waren die Berge an Papiervorlagen, die es zu lesen und zu verstehen gab.
Warum haben Sie sich 2013 in „Die Grafschafter“ umbenannt?
Um die lokal auf Moers orientierte und konzentrierte Zielsetzung der Freien Bürger in Moers noch deutlicher zu dokumentieren. Motto: Menschen machen Moers.
Was verbuchen die Grafschafter als ihre größten Erfolge der vergangenen 20 Jahre?
Da ist schon so einiges zusammenkommen, das allerdings unserer großen Beharrlichkeit und öffentlicher Unterstützung zu verdanken ist: Schoko-Ticket, MO-Kfz-Kennzeichen, Digitaler Rat: Bürger-und Ratsinformationssystem, Mobiler Bürgerservice, Wegbereitung Gewerbegebiet Genend, Reisemobilstellplätze plus Erweiterung, Moers als Messestandort...
Und was waren die schlimmsten Niederlagen?
Bedauerlicherweise konnten wir bisher nicht durchsetzen, was in der letzten Wahlperiode vereinbart wurde: eine Dauerausstellung im Alten Landratsamt bzgl. Traditions- und Brauchtumspflege für Karneval, Schützenwesen und Bergbau. Ebenfalls konnten wir immer noch nicht bewirken, dass das Parkfest wieder veranstaltet wird. An beiden Dingen arbeiten wir beharrlich weiter.
Mittlerweile sind Sie nur noch zu zweit im Rat. Schlimm?
Nein, auf gar keinen Fall! Mit meiner sehr couragierten Kollegin und Gründungsmitglied Astrid Schulze sowie mit 13 engagierten sachkundigen BürgerInnen und einem sachkundigen Einwohner und zwei Mandaten im Integrationsrat, „bespielen“ wir alle Gremien nach wie vor stets konstruktiv und lösungsorientiert.
Vor zwei Jahren hat es in Moers politisch geknallt. Neben der „Fraktion“ sind auch die Grafschafter überraschend aus dem Fünferbündnis mit SPD, Grünen und Linken ausgestiegen. Seinerzeit haben Sie unter anderem die Nähe von SPD und Grünen zur Verwaltung moniert. In der Retrospektive: War der Schritt richtig oder hätten Sie nicht im Bündnis politisch mehr bewirken können?
Der Schritt in Richtung „offene Mehrheiten“ war, ist und bleibt die richtige Entscheidung! Wir sind daher sehr zuversichtlich und überzeugt, aus der Opposition heraus vieles mehr und dabei schneller und besser für Moers wieder bewirken zu können. Bestes Beispiel dafür ist die Wegbereitung für das Gewerbegebiet Genend. Außerdem bleibt durch unsere Eigenständigkeit auch unsere Identität sichtbar.
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Eint Sie mit den anderen Fraktionen gar nichts mehr?
Nach wie vor sind wir der Meinung, dass Moers mehrheitlich immer noch „links“ tickt. Daher gibt es oft viele Schnittmengen und wenig Diskrepanzen. Seit wir wieder eigenständig sind, haben wir das Gefühl, dass viel mehr miteinander geredet wird, man aufeinander zugeht und sich mehr an Themen als an Befindlichkeiten abarbeitet.
Was macht eigentlich Ihre Wählergemeinschaft aus?
Als erste Moerser Wählergemeinschaft kümmern wir uns vorrangig um die kleinen und großen Wünsche und Sorgen unserer kleinen und großen Mitmenschen. Information und Transparenz zur BürgerInnenbeteiligung auf Augenhöhe ist uns wichtig. Die Grafschafter sehen sich als Gemeinschaftsgestalter und treffen daher ihre politischen Entscheidungen ausschließlich auf der Grundlage von sachlichen Argumenten und real vorliegenden Fakten. Wir setzen auf Einhaltung der Gleichbehandlung, gegenseitiges Vertrauen und Ehrlichkeit - und zwar vor, während und nach der Wahl. Als Freie Bürger sehen wir unseren politischen Tätigkeitsbereich ausschließlich im Bereich unserer Stadt. Wir streben nicht nach gut bezahlten Posten im Bereich des Landtages oder des Bundestages.