Kamp-Lintfort. Die Pläne der Rechten, Menschen mit Migrationshintergrund zu vertreiben, stoßen in Kamp-Lintfort auf Besorgnis. Bürgermeister redet Klartext.

Remigration ist zum Unwort des Jahres 2023 gewählt worden. Hintergrund war ein gar nicht so geheimes Treffen von AfD-Mitgliedern und anderen zumindest sehr rechts orientierten Menschen, die unter diesem Stichwort Probleme Deutschlands lösen wollen: Einfach Ausländer wieder in ihre Herkunftsländer zurückschicken. Von politischen Gegnern wird dieses Ansinnen als geplante „Deportation“ oder „Vertreibung“ umbenannt. Wie gehen Menschen mit Migrationshintergrund damit um, wenn sie quasi als unerwünschte Person bezeichnet werden?

Milan Djuric, Leiter des SCI-Jugendcafés antwortet erstmal ganz pragmatisch: „Mein Vater ist Serbe, meine Mutter kommt aus Wuppertal.“ Auch so kann man klar machen, dass der Plan „Remigration“ in einer Multikulti-Gesellschaft an Grenzen stoßen würde. Natürlich ginge es nicht an ihm vorbei, dass es diese rechtsextremen Strömungen gäbe, so Djuric. „Das kann keiner gut heißen. Nicht umsonst gehen wir ja alle auf die Straße.“ Die Demos hätten ihm Mut gemacht. Aber es bleibe abzuwarten, wie „es sich weiterentwickelt, damit es nicht in Hass umschlägt“. Bei den Jugendlichen im Café sei die Diskussion um Rassismus nicht im Fokus: „Die haben andere Themen.“ Wenn es mal Zoff gäbe, dann gehe es um Cliquen, „wie auf jedem x-beliebigen Schulhof“. Ob da Bosnier, Kroaten, Türken oder Ukrainer mitmischen, sei zweitrangig.

Jennifer Klotz hat zuletzt mit ihrem Mann Rainer den Verein CEC.Connect in Kamp-Lintfort geführt. Jetzt leitet sie das Moerser Juno.
Jennifer Klotz hat zuletzt mit ihrem Mann Rainer den Verein CEC.Connect in Kamp-Lintfort geführt. Jetzt leitet sie das Moerser Juno. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Ein Eindruck, den auch Jennifer Klotz teilt. Die Kamp-Lintforterin leitet in Repelen das „Juno“, ein Jugendzentrum, in dem kaum jemand verkehrt, der deutsche Wurzeln hat. „Die jungen Leute machen sich eher darüber lustig auf Tiktok“, ist ihre Erfahrung. Sie fühlen sich anscheinend sicher in ihrer Umgebung, vertrauten darauf, dass „die Erwachsenen das irgendwie hinkriegen“. Das Team wolle ihnen das Thema auch nicht aufdrängen. „Wir gucken auf die Themen, die von den Jugendlichen selber kommen.“ Auch sei man sind lieber für etwas als gegen etwas. Also für Demokratie statt gegen Nazis. Wenn etwas akut werde, so Klotz, werde man sofort reagieren.: „Demokratie steht an oberster Stelle.“

Was bedeuten diese Pläne erst für Menschen, die gerade erst fliehen mussten?

Berna Catal ist Lehrerin an der Europaschule in Rheinberg und sieht die Dinge nicht so locker: „Ich finde es besorgniserregend.“ Was dort thematisiert wird, sei kontraproduktiv für die Arbeit in den Schulen, viele Schülerinnen und Schüler hätten Gesprächsbedarf: „Vielleicht nicht die ganz Kleinen, aber die Oberstufenschüler schon.“ Ja, Witze wie: „Wir werden doch jetzt sowieso alle nach Afrika abgeschoben“, habe sie schon gehört, aber die Stimmung kippe dann schnell. Die Lehrerin glaubt, dass es vor allem für die Menschen furchtbar sein muss, mit solchen Überlegungen konfrontiert zu werden, wenn sie gerade aus Kriegsgebieten geflohen sind. „Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen, arbeite seit Jahren in Jugendeinrichtungen für eine bessere Zukunft, zahle Steuern. Wofür habe ich das alles geleistet? Das ist einfach nur traurig“, fasst sie zusammen. Nein, nicht nur traurig, legt sie nach, es sei eher Empörung: „Es ist fünf vor Zwölf.“

In Kamp-Lintfort gibt es keine AfD

Oguzhan Ucar ist Fraktionsvorsitzender der Wählergemeinschaft Libra in Kamp-Lintfort. Sein Eindruck: „Jeder in der Community nimmt das anders wahr.“ Es sei ein „Glück“, dass die AfD in Kamp-Lintfort nicht vertreten ist. Für sich selbst sagt Ucar: „Am liebsten würde ich lachen. Wer fällt auf sowas rein?“ Er sei in Kamp-Lintfort geboren und aufgewachsen, habe hier sein Abitur gemacht, arbeitet seit Jahren im öffentlichen Dienst. „Manchmal frage ich mich, was für eine Bildung diejenigen haben, die solche Forderungen äußern.“ Der 34-Jährige sieht auch noch eine andere Gefahr: „Je mehr man darüber redet, ist es vielleicht genau das, was sie wollen“, meint er mit Blick auf die Rechten. Angst vor einer Zukunft in Deutschland habe allerdings in seinem Bekanntenkreis noch niemand geäußert.

Necip Söylemis ist Chef von Artz Reisen in Kamp-Lintfort.
Necip Söylemis ist Chef von Artz Reisen in Kamp-Lintfort. © NRZ | Martin Emmerichs

Dass solche extremen Tendenzen kommen könnten, sagt Necip Söylemis, Geschäftsführer bei Artz-Reisen, „war für mich früher klar“. Seit Jahren bereite sich so mancher mit nichtdeutschen Wurzeln darauf vor, Deutschland beizeiten zu verlassen oder verlassen zu müssen, ist er sicher. Das sei die „stille Mehrheit“. „Wann kündigen Sie eine Freundschaft? Erst wenn sie geschlagen werden, oder schon, wenn Sie gemobbt werden?“, fragt Söylemis. Was es hieße, wenn die AfD weiter Zulauf bekäme, solle man sich überlegen: „Wer pflegt denn dann noch, wer bringt die Pakete?“ Er analysiert das deutsche Gemüt so: „Es geht um Ungerechtigkeiten und darum, dass aus Einzelfällen immer gleich generalisiert wird.“ Das gelte für den arbeitsunwilligen Bürgergeldempfänger ebenso wie für den reichen Erben, der Steuern hinterzieht: Dann sind alle so. Akademiker aus einer Verwandtschaft hatten überlegt, nach Deutschland zu kommen, es dann aber vorgezogen, nach Kanada zu gehen: „Weil an der Supermarktkasse nicht differenziert wird.“ Dass die „Neiddebatte“ zu radikalen Ansichten führen kann, wundert ihn nicht: „Den Druck auf den Kessel gab es immer von unten, die Millionäre leben auch in der Krise gut.“ Die Deutschen, findet Söylemis, sollten sich auch überlegen, was das für die Wirtschaft bedeuten könnte: „Andere Länder werden sich die Finger lecken nach Leuten, die in Deutschland ausgebildet wurden.“ Er finde es gut, dass jetzt so viele Menschen auf die Straße gehen: „Aber abgerechnet wird am Schluss, bei den Wahlen in den Ländern und in der EU.“ Er selbst hat für sich schon klar: „Ich kann mein Geld hier oder woanders ausgeben. Wenn es krass wird, dann gehe ich weg.“

Der Gastronom Simone Vigna.
Der Gastronom Simone Vigna. © FUNKE Foto Services | Joshua Esters

Ganz anders blickt Simone Vigna auf die Lage: „Ich fühle mich von der Diskussion nicht betroffen.“ Er bereite den Deutschen doch keine Schwierigkeiten. „Ich habe immer nur gearbeitet, seit ich hier bin.“ Er sehe jedoch die Flüchtlingsproblematik auch aus der Perspektive des Italieners: „Da kommen die Flüchtlinge schneller an als in Deutschland. Und Italien und Deutschland allein können die Welt nicht retten“, findet der Gastronom, der soeben seine neue Villa Vigna in der Leucht eröffnet hat. Er könne verstehen, dass die Leute die Nase voll haben. Er sehe durchaus, dass es bei gänzlich unterschiedlichen Kulturkreisen mehr Probleme im Miteinander geben als unter Europäern. „Ich bin durchaus bereit, wieder zurück in mein Land zu gehen“, sagt der Italiener, wenn es denn dadurch ruhiger in Deutschland zugehen würde.

Der Bürgermeister zeigt klare Kante

Christoph Landscheidt ist Bürgermeister einer Stadt, die seit Jahrzehnten im Bergbau auf die Unterstützung durch die damals noch so genannten Gastarbeiter angewiesen war, und spart nicht mit sehr deutlichen Worten Richtung rechts: „Remigration ist nichts anderes als die unverhohlene Drohung der Rechtsradikalen und ihrem parlamentarischem Arm, der Nazi-Partei AfD, im Falle einer Machtübernahme alle Nicht-Deutschen oder wen auch immer sie in ihrem völkischen Wahn dafür halten, flächendeckend mit Gewalt zu deportieren. So absurd und pervers es sich anhört: Es könnte vermutlich mehr als die Hälfte der Kamp-Lintforter betreffen, deren Familien in 100 Jahren Bergbaugeschichte aus Polen, der Ukraine, vom Balkan, aus Südeuropa, der Türkei und anderen Ländern zu uns gekommen sind. Sie haben unser Land und unsere Stadt mit aufgebaut und zu dem gemacht, was es heute ist. Sie sind unverzichtbarer Teil unserer Stadtgesellschaft. Deshalb sind wir alle aufgefordert, uns schützend vor sie zu stellen, nicht nur bei Demonstrationen, sondern auch im Alltag und vor allem an der Wahlurne, und dort die Nazis hinzuschicken, wo sie hingehören: in die politische Bedeutungslosigkeit!“

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