Moers. Tatjana, Bogdan, Anita, Olga und Margerita mussten aus der Ukraine fliehen und leben nun in Moers. Mit uns teilen sie Gedanken zu Weihnachten.
Tatjana wird in diesem Jahr keinen Weihnachtsbaum aufstellen. Zu Hause hat sie immer einen Weihnachtsbaum zum Fest aufgestellt, aber jetzt ist sie nicht mehr zu Hause. Tatjana musste flüchten, russische Truppen standen vor ihrem Haus im Norden der Ukraine. Seit Mitte vergangenen Jahres lebt sie zusammen mit ihrer Mutter Margarita, ihrer Schwester Olga und deren Kindern Anita und Bogdan in Moers. Jetzt, zu Weihnachten, sind sie alle mit ihren Gedanken in der Ukraine, ihrer Heimat.
„Deutschland hat uns gut aufgenommen, die Menschen hier haben fast die gleichen Wünsche und Bedürfnisse wie die Menschen in der Ukraine“, sagt Olga. Sie ist Rechtsanwältin, den ersten Deutschkurs hat sie absolviert, jetzt wartet sie auf den zweiten. Dazu ist sie ehrenamtlich aktiv. Tatjanas Sohn Bogdan geht aufs Grafschafter Gymnasium und spielt in seiner Freizeit Fußball. Er ist Torwart beim GSV Moers. Olgas Tochter Tatjana besucht ein Berufskolleg und macht mit bei einem Theaterkurs.
Die Awo war eine große Hilfe für die Ukrainer
Alle haben Fuß gefasst in ihrem neuen Leben, dem Leben fern der Heimat. Margarita ist froh, mit ihren Töchtern, der Enkelin und dem Enkel in Moers zu leben. Immer wieder sagt sie im Gespräch mit der NRZ, wie dankbar sie alle sind. „Die Arbeiterwohlfahrt hilft uns sehr“, sagt sie zum Beispiel und meint die breit angelegte Unterstützung der Arbeiterwohlfahrt (Awo) im Kreis Wesel. „Herz für die Ukraine“ heißt die Aktion, die die Awo wenige Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ins Leben gerufen hat. Olga Weinknecht koordiniert die Hilfe für die Menschen, sie übersetzt beim Gespräch mit der NRZ.
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Margarita, Olga, Tatjana, Anita und Bogdan haben in Tschernihiv und Umgebung gelebt. Die Bilder der Stadt im Internet zeigen große Kirchen und ein Museum mit einem Säulenportal. 285.000 Einwohnerinnen und Einwohner hatte die Stadt 2017, sie liegt nicht weit entfernt von den Grenzen zu Belarus und Russland. Jetzt ist alles anders. Am 24. Februar 2022 ruft Tatjana bei ihrer Schwester an: Zwei Geschosse sind vor ihrem Haus eingeschlagen.
Die Familie blieb zunächst in Bonn
„Keiner von uns hat daran gedacht, dass der Krieg jetzt beginnt, aber wir haben sofort entschieden, dass wir wegmüssen“, sagt Olga. Mit Tatjanas Auto, einem Mazda, fahren sie los - nur weg. Sie finden Unterschlupf in einem kleinen Dorf in der Umgebung, einen Monat leben sie dort in einem Keller. „Wir haben am Horizont gesehen, wie unsere Heimatstadt brennt“, erinnert sich Olga. Doch auch die Flucht aufs Land ist keine Rettung vor den russischen Truppen. Am 3. März stehen feindliche Soldaten im Nachbardorf, es gibt keinen Strom mehr.
Ende März haben ukrainische Truppen die Russen zurückgedrängt. „Wir hatten 20 Minuten, um das Dorf zu verlassen. Unsere Soldaten gaben uns die genaue Route vor, das Gelände war vermint“, sagt Olga. Wieder sind sie in Tatjanas Mazda unterwegs. Der ist zwar in der Zwischenzeit von einem Geschoss getroffen worden, doch er fährt. Noch jemand aus dem Dorf flüchtet mit ihnen im Mazda, Bogdan liegt quer auf der Rückbank auf den Knien der anderen.
Olga berichtet: „Auf dieser Fahrt haben wir Bilder einer kompletten Zerstörung gesehen, Dörfer und Wälder waren abgebrannt.“ Über Polen gelangen sie nach Litauen, die Angst ist jetzt ihr ständiger Begleiter. Das gilt offenbar auch für viele Menschen im Baltikum, wie Olga sagt: „Viele hatten Angst vor einer russischen Invasion und saßen auf gepackten Koffern.“ Also geht die Flucht weiter, wieder mit dem Mazda, diesmal wieder zu fünft.
In der Nähe von Bonn kennen sie jemanden, doch dort können sie nicht bleiben. Über ein Aufnahmelager gelangen sie schließlich nach Moers, es ist der 12. Juli 2022. Jetzt, etwa eineinhalb Jahre später, haben sich Margarita, Olga, Tatjana, Anita und Bogdan arrangiert mit ihrem neuen Leben. „Moers gefällt uns gut, wir sind geblieben“, sagt Tatjana. Die Angst, der alte Wegbegleiter, taucht noch manchmal auf, wie Margaritas Enkelin Anita berichtet: „Wenn es draußen pfeift, schrecke ich noch immer zusammen.“ Die laute Silvesternacht ist für sie keine schöne Zeit.
Die Familie aus der Ukraine hat Angst
Und noch eine andere Angst hat sich in der Familie eingeschlichen: Die Angst, dass der Westen den russischen Krieg in der Ukraine vergessen könnte. Olga sagt: „Das ist unsere größte Angst. Die Ukraine allein kann den Krieg nicht gewinnen.“
Aber jetzt ist erst einmal Weihnachten. Olga sagt: „Wir haben noch keine Pläne, aber wir werden in der Familie feiern.“ Und sie werden per Video Olgas Mann und Tatjanas Mann sehen und sprechen, beide sind in der Ukraine. Die Ansprache ihres Präsidenten Wolodymyr Selenskyj werden sie natürlich verfolgen. Die Rückkehr in die Heimat ist für Margarita, Olga, Tatjana, Anita und Bogdan zurzeit aber kein Thema. Margarita sagt: „Zuerst denken wir an den Frieden.“