Neukirchen-Vluyn. „Wir waren die Versuchskaninchen“: Schülerinnen und Schüler der Neukirchen-Vluyner Gesamtschule Niederberg erzählen von ihrer Schulzeit.
Sie waren die Versuchskaninchen – und jetzt, fast neun Jahre später, macht der erste Jahrgang der 2015 gegründeten Gesamtschule Niederberg Abitur. Im Februar schreiben die Schülerinnen und Schüler ihre Vorabiklausuren. „Mit uns wurde viel ausprobiert“, erzählt Lara Obst mit einem Lachen. „Einiges war gut, das wurde dann beibehalten, was nicht funktioniert hat, wieder abgeschafft.“ Gemeinsam mit Emmely Schlagner, Tom Enders und Viktoria Rjabko ist sie Stufensprecherin. Alle vier schauen ein wenig emotional auf ihre Schulzeit zurück. „Der Anfang war schon sehr besonders, manchmal chaotisch“, sagt Tom Enders. „Wir hatten niemanden, zu dem wir hochschauen konnten, weil es eben keine Stufe über uns gab. Bei jedem Konzept, jeder Idee waren wir die Ersten.“ Wohlgefühlt habe er sich aber trotzdem sofort.
Fünf Klassen mit jeweils 30 Schülerinnen und Schülern gingen im Spätsommer 2015 an der neu gegründeten Gesamtschule in Neukirchen-Vluyn an den Start. Und nicht nur für sie war das meiste neu: Auch viele Lehrerinnen und Lehrer kamen frisch aus dem Referendariat, waren noch jung und übernahmen ihre ersten Klassen. So auch Tobias Barnowski, der an der Gesamtschule an der Tersteegenstraße seine erste richtige Stelle antrat. Der 40-Jährige unterrichtet Deutsch und Sport und kennt die jetzigen Abiturienten seit der fünften Klasse. „Wir haben ein besonderes Verhältnis, das wird es nach diesem Jahrgang so für mich nicht mehr geben“, erzählt Barnowski. „Einfach, weil wir zusammen viel erlebt haben und älter geworden sind.“
Viele neue Ideen für die neue Gesamtschule
Auch wenn die Räume des Julius-Stursberg-Gymnasiums und damals auch noch der Theodor-Heuss-Realschule im Grunde direkt nebenan lagen, habe man von Schüler- und Lehrerschaft nicht viel mitbekommen. Die Gesamtschule musste ihren eigenen Weg finden, neue Lernkonzepte wurden eingeführt. „Wir hatten beispielsweise die sogenannte persönliche Übungszeit, in der wir als Ganztagsschule die Hausaufgaben mit Unterstützung der Lehrer gemacht haben“, erklärt Tom Enders. 90 Minuten Zeit gab es dafür, sodass zu Hause erst einmal keine Aufgaben mehr anfielen.
Und es gab die wöchentliche Klassenlehrerstunde, in der Organisatorisches besprochen, der Klassenrat gewählt und Probleme diskutiert wurden. „Das fand ich total wichtig, um zu lernen, Konflikte zu bewältigen und Sachen kritisch zu hinterfragen“, sagt Emmely Schlagner. Als erste Stufe wurden die jetzigen Abiturienten zudem digitalisiert, sprich mit iPads ausgestattet. „Wir konnten bei vielen Entscheidungen mitreden, das fanden wir immer ziemlich gut“, so Enders. Das habe auch an der tollen ersten Schulleiterin Beatrix Langenbeck-Schwich gelegen.
Abitur auch für Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien
Für einige der Schülerinnen und Schüler bot die neue Gesamtschule die große Chance, es vielleicht bis zum Abitur zu schaffen. „Niemand in meiner Familie hat Abitur gemacht und ich hatte ohnehin nur die Empfehlung für die Realschule“, erklärt Emmely Schlagner. Da diese aber ein Auslaufmodell war, kam nur die Gesamtschule in Frage. Ein Glücksfall für sie: „Für Kinder, die nicht aus Akademikerfamilien kommen oder einen Migrationshintergrund haben, ist es viel schwieriger, Abitur zu machen und sich dann auch zu informieren, was Uni- oder Ausbildungsplätze und Bewerbungen angeht“, sagt die 19-Jährige. An der Gesamtschule gebe es immer viele helfende Hände für genau solche Fälle. Von Freunden wissen die vier Abiturienten, dass das nicht an allen Schulen so ist.
Lara Obst und Viktoria Rjabko betonen zudem die Vorteile von G9, am Gymnasium wäre 2015 nur das Abitur nach acht Jahren möglich gewesen. „Ich habe den Leistungsdruck als nicht so hoch empfunden“, meint Obst. Und Rjabko fügt hinzu: „Wir hatten einfach mehr Zeit, auch um zu überlegen, was wir nach der Schule machen wollen.“
Erste Abschlussfeier im Juni
Viele Projekte und Praktika außerhalb des Unterrichts vermittelten den Schülerinnen und Schülern Wissen über den Lehrstoff hinaus. Welche Ausbildung oder welches Studium sie aufnehmen wollen, wissen noch nicht alle genau. „Bauingenieurswesen studieren oder in die Politik gehen“, sagt Tom Enders. „Architektur studieren“, meint Emmmely Schlagner. Ihnen stehen bald alle Möglichkeiten offen. Wenn die Klausuren geschrieben sind, soll aber erstmal gefeiert werden. Der Viva Event- und Freizeitpark ist für die erste Abschlussfeier der Gesamtschule im Juni schon gebucht.