Neukirchen-Vluyn. Die Awo hat in Neukirchen-Vluyn einen ungewöhnlichen Friseursalon eröffnet. Nun kam hoher Besuch. Kundin: „Das hier ist eine tolle Einrichtung.“
Ein ganz ungewöhnliches Sozialprojekt haben die Awo Kreis Wesel und der Ortsverein Neukirchen-Vluyn am Grafschafter Platz 24 installiert: Im Frisiersalon Hairlich können sich Menschen mit kleinem Geldbeutel kostenlos oder für wenige Euro eine neue Frisur verpassen lassen – und noch viele andere Leistungen in Anspruch nehmen. Das Angebot mit Pilotcharakter ist für den Präsidenten des Awo-Bundesverbandes Michael Groß Anlass, sich auf seiner Sommerreise durchs Land in den neuen Räumen umzuschauen.
Friseurmeisterin Judith Backhaus und ihr Team sind seit Januar im Hairlich im Einsatz. Wie wichtig ein frischer Haarschnitt für die Menschen mit wenig Geld sei, wisse sie: „Manche haben ein ganzes Leben lang gearbeitet und jetzt kaum Geld für den Friseur“, berichtet sie. Was ja auch zur Körperpflege gehöre. „Wir hören hier oft traurige Geschichten“, meint die Meisterin.
Im Neukirchen-Vluyner Salon gibt’s besondere Angebote
Zu jenen, die den Laden Hairlich bereits regelmäßig ansteuern, gehört eine Seniorin aus Hülsdonk. Sie habe bisher nur ab und zu zum Friseur gehen können, sagt sie. „Mir geht es finanziell nicht so gut. Aber das hier ist eine tolle Einrichtung, die man noch viel mehr publik machen sollte!“ Kreis-Awo-Präsident Ibrahim Yetim ist stolz: „Mit diesem Angebot sind wir wohl einzigartig im Land.“ Und: Ein ungepflegtes Äußeres sei auch eine Art Stigma für die Menschen.
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Wichtiges Thema für Michael Groß: Die wachsende Armut fördere auch die Einsamkeit der Menschen. Die Preissteigerung mache immer mehr Menschen zu schaffen. Allein Kartoffeln kosteten 55 Prozent mehr als früher. Hinzu kämen die Energiepreise. „Einige können sich kein warmes Mittagessen mehr leisten“, so seine traurige Feststellung bei seinen Reisen. Für die Awo-Mitarbeiter bedeute dies eine hohe Mehrbelastung.
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Wie Awo-Sozialarbeiterin Karin Fetzer ergänzt, bestehe die Arbeit in den Beratungsstellen heute tatsächlich zum Großteil aus der Hilfe bei zahllosen Anträgen auf Sozialleistungen. Betroffen seien, weiß Groß, heute alle Altersschichten. „Aber vor allem sind es Alleinerziehende in Not.“ Die zunehmende Armut sei selbst in „besseren“ Gegenden wie beispielsweise um Hamburg oder im beschaulichen Kevelaer deutlich zu merken. „Wir erleben auch, dass sich viele Menschen politisch übergangen fühlen.“ Trotz all der Not drohten nun obendrein aus Berlin noch Kürzungen auf dem sozialen Sektor.
Die Awo hat im Kreis Wesel 100 Einrichtungen
Rund 100 Einrichtungen und Angebote unterhalte die Awo im Kreis Wesel, schildert Fachbereichsleiterin Michaela Mayboom. Zur Lage vor Ort: „Gerade der Laden Stoffwechsel mit gebrauchten Textilien in unserer Geschäftsstelle an der Uerdinger Straße in Moers ist seit Anfang des Jahres hoch frequentiert. Es kommen 30 Prozent mehr Menschen dort zu uns.“
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Hairlich-Initiator Jochen Gottke, Vorsitzender des Kreis- und Ortsvereins, ergänzt: „Etwa ab Dezember gibt es hier im Laden auch Sozialberatung für Betroffene.“ Zudem schaffe die Awo im Hairlich eine Waschmaschine und einen Trockner für benachteiligte Menschen an. Eine öffentliche behindertengerechte Toilette, die auch an den Markttagen geöffnet sei, gebe es darüber hinaus. Die Stadt habe die Toilette mit 40.000 Euro gefördert. Der gesamte Umbau des vormaligen Friseursalons schlage mit 80.000 Euro zu Buche.
>> Die Preise im Hairlich >>
Kinder zahlen im Hairlich 5 Euro, Erwachsene 10 Euro, wenn sie einen Sozialausweis bzw. einen Sozialpass vorlegen. Ohne Ausweis kosten Waschen, Schneiden und Föhnen für jeden, der den Laden unterstützen will, ab 30 Euro. Geöffnet ist montags bis freitags von 9 bis 17.00, von 13 bis 14.00 ist Pause. Die Awo hat im Kreis Wesel 1300 Mitarbeiter, darunter 100 Azubis. 2000 Awo-Mitglieder gibt es im Kreis, davon alleine 340 in Neukirchen-Vluyn.